84 Die koloniale Stellung der europäischen Mächte.
8. Italien
ist erst nach seiner nationalen Einigung Kolonialmacht geworden. Sein Außenbesitz
umfaßt wenig güustige Gebiete: einen heißen Küstenstrich am Roten Meere, die sog.
erythräische Kolonie, und das So malland; außerdem beansprucht es Tri-
politanien. Dabei hat Italien unter allen romanischen Völkern die stärkste Aus-
Wanderung und zugleich die größte Bevölkerungszunahme. Sein natürliches Kolonial-
gebiet, die gegenüberliegende Küste Afrikas, haben zumeist die Franzosen an sich gerissen.
Die Besetzung von Tunis insbesondere (1881) durch die Franzosen wurde in Italien
als schwere Kränkung empfunden.
v. Dänemark
besitzt an überseeischen Gebieten nur noch die westindischen Inseln St. Thomas,
St. Croix und St. John. Es stand aber schon wiederholt in Verkanssuuterhandlungen
mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die namentlich den vortrefflichen Hafen von
St. Thomas zu erwerben wünschen.
10. Wußland
hat, obwohl der größte und volkreichste Staat, sich bisher um überseeischen Besitz nicht
bemüht. Dagegen errang es im 19. Jahrhundert in Asien glänzende Erfolge. Es
betrieb dort seine Ausbreitung nach SO. und O. mit so großem Glück, daß es trotz
seines Mißerfolges im Kriege mit Japan (1904—1905) noch heute in weitem Bogen
Englands Besitz in Indien sowie China umspannt. Durch dieses sein Vordringen in
Asien hat Rußland aber auch kolonisierend gewirkt, indem ein großer Teil der Er-
Werbungen neu besiedelt worden und durch die Anlage von Eisenbahnen wichtige
Handelsverbindungen geschaffen worden sind.
11. Die Aereinigten Staaten von Amerika.
Die Union galt bis in die jüngste Zeit, da sie nur ein geringes stehendes Heer
besitzt uud in europäische Kriege sich nicht einmischte, als der Friedenssiaat an sich.
In der Tat aber hat kein Staat im Laufe des 19. Jahrhunderts so entschieden Aus-
dehnungsbestrebungen verfolgt und mit so großartigem Erfolge wie die Union. Der
schlagendste Beweis hierfür ist die Tatsache, daß von den heutigen Bewohnern der
Union (76 Mill.) mehr als 3/s, über 46 Millionen, Gebieten angehören, die außerhalb
jener Staaten liegen, die an der Erhebung gegen England (1776) teilnahmen.
In neuester Zeit haben die Erweiterungsbestrebungen über den nordamerikanischen
Boden hinausgegriffen, Allerdings verfügt die Union noch nicht über ausgedehnte
Kolonialgebiete, aber diese stellen wichtige Stützpunkte ihres Handels und ihrer Flotte dar,
vorzugsweise im Großen Ozean, so die Sand wich inseln, Guam und die Philip-
pinen, ferner die Samoa-Jnsel Tutuila. Die Union hat sich ferner die volle Herr-
schaft über den Panama-Kanal gesichert und dazu einen Landstreifen von je 8 km
Breite zu beiden Seiten erworben. Da sie auch die Insel Portoriko in Besitz
genommen und die Inseln Kuba und Domingo in hohem Grad ihrem Einfluß
unterstehen, so beherrscht sie zugleich die Hauptwege, die aus dem Atlantischen Ozean