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und feiner als im Norden; manchmal färbt sie die untergehende
Sonne dunkelroth, und sie stehen wie eine purpurne Wolke über
der Erde.
28. Pompeji und Herkulanum. *
Neapel, den 11. März 1787. — Da mein Aufenthalt nicht lange
dauern wird, so nehme ich gleich die entfernteren Punkte zuerst; das
Nähere gibt sich. Mit Tischbein fuhr ich nach Pompeji, da wir denn
alle die herrlichen Ansichten links und rechts neben uns liegen sahen,
5 welche, durch so manche landschaftliche Zeichnung uns wohl bekannt,
nunmehr in ihrem zusammenhängenden Glanze erschienen. Pompeji
setzt jedermann wegen seiner Enge und Kleinheit in Verwunderung.
Schmale Straßen, obgleich gerade und an der Seite mit Schrittplatten
versehen, kleine Häuser ohne Fenster, aus den Höfen und offenen
io Galerien die Zimmer nur durch die Thüren erleuchtet. Selbst öffent¬
liche Werke, die Bank am Thor, der Tempel, sodann auch eine Villa
in der Nähe, mehr Modell und Puppenschrank als Gebäude. Diese
Zimmer, Gänge und Galerien aber aufs heiterste gemalt, die Wand;
flächen einförmig, in der Mitte ein ausführliches Gemälde, jetzt meist
15 ausgebrochen, an Kanten und Enden leichte und geschmackvolle Ara¬
besken, aus welchen sich auch wohl niedliche Kinder- und Nymphen¬
gestalten entwickeln, wenn an einer andern Stelle aus mächtigen
Blumengewinden wilde und zahme Thiere hervordringen. Und so
deutet der jetzige, ganz wüste Zustand einer erst durch Stein- und Aschen-
20 regen bedeckten, dann aber durch die Aufgrabenden geplünderten Stadt aus
eine Kunst- und Bilderlust eines ganzen Volkes, von der jetzo der
eifrigste Liebhaber weder Begriff, noch Gefühl, noch Bedürfniß hat.
Bedenkt man die Entfernung dieses Orts vom Vesuv, so kann
die bedeckende vulkanische Masse weder durch ein Schleudern noch dura)
25 einen Windstoß hierher getrieben sein; man muß sich vielmehr vorstellen,
daß diese Steine und Asche eine Zeit lang wolkenartig in der Luft
geschwebt, bis sie endlich über diesem unglücklichen Ort niedergegangen-
Wenn man sich nun dieses Ereigniß noch mehr versinnlichen will,
so denke man allenfalls ein eingeschneites Bergdorf. Die Räume zwft
30schen den Gebäuden, ja die zerdrückten Gebäude selbst wurden aus¬
gefüllt, allein Mauerwerk mochte hier und da noch herausstehen, als
früher oder später der Hügel zu Weinbergen und Gärten benutzt
wurde. So hat nun gewiß mancher Eigenthümer, auf seinem Antheu
niedergrabend, eine bedeutende Vorlese gehalten. Mehrere Zimmer
35 fand man leer und in der Ecke des einen einen Haufen Asche, der
mancherlei Hausgeräthe und Kunstarbeiten versteckte.
Den wunderlichen, halb unangenehmen Eindruck dieser mumisirten
Stadt wuschen wir wieder aus den Gemütern, als wir in der Laube,
zunächst des Meeres, in einem geringen Gasthof sitzend, ein frugales
40 Mal verzehrten und uns an der Himmelsbläue, an des Meeres Glanz
und Licht ergötzten, in Hoffnung, wenn dieses Fleckchen mit Wem-
laub bedeckt sein würde, uns hier wieder zu sehen und uns zusammen
zu ergötzen.
Neapel, den 18. März 1787. Nun durften wir nicht länger säumen,
45Herkulanum und die ausgegrabene Sammlung in Portici zu sehen-
I. W. Goethe.