— 163 —
e) Das vontische Tiefland umfaßt die Strecke n. vom schwarzen
Meer, welche vom mittleren und untern Don mit dem Donez,
dem mittleren uud untern Dnjepr, dem Bug und Dnjestr durch-
flössen wird. Es gehören dazu Kleinrußland, Südrußland,
Podolien und Bessarabien. In diesem Gebiete sind zwei von
einander sehr verschiedene Bodengebiete zu unterscheiden. Fast ganz.
Kleinrußlaud, Podolien und der größte Teil von Bessarabien gehören
zur Zone des sehr starken Ackerbaus (@. 160) uud sind gut
bevölkert. Südrußland und die s. Striche von Kleinrußlaud und-,
Bessarabien sind ein Teil des südrussischen Steppengürtels,
der sich von der Donaumündung bis zum s. Ural hinzieht und weiterbin in
den sibirischen Steppengürtel übergeht. Das Gesamtgebiet der südrnssischew
Steppe nimmt über V« von dem ganzen Bodengebiet Rußlands ein und
ist fast doppelt so groß als Frankreich. Die Gebiete n. vom schwarzem
Meer bezeichnet man als pontische Steppe, die n. vom Kaspisee,
als kaspische Steppe. Die s. Striche von der letzteren liegen unter
dem Meeresspiegel und sind sehr salzreich. Zu deu Salzseen dieses^
Gebiets gehört der Eltonsee, dessen Salzgehalt noch größer ist als
der des Wassers im toten Meer.
Die Steppe gleicht mit ihren flachen Bodenwellen dem leicht bewegten
Meere. In manchen Gegenden unterbricht hie und da ein 7 bis 8 in hoher
Hügel, vom VolkSmunde „Türkenhügel" genannt, das einförmige Flachland.
Diese künstlichen Aufschüttungen sollen früher eindringenden asiatischen Horden
als Warten und Wegweiser gedient haben. Unabsehbar dehnt sich die öde
Fläche aus. „Kein Wald, kein Baum, kein lebendiges Wasser, bis auf die
wenigen Flüsse, welche die Steppe durchbrechen", und die breiten Regenrinnen,
welche zur Zeit der Schneeschmelze brausende Wassermassen nach den weiten
Limans am Meeresufer führen. Hie und da kündet ein armseliges Steppen-
dorf oder ein Aul der Hirten und eine weidende Herde die Bewohnbarkeit der
Steppe an.
Die landschaftlichen Bilder der Steppe sind je nach der Jahreszeit sehr
verschieden. Der Frühling kündigt sich durch die Zeit der Schneeschmelze
an. Die kalten Nord- und Ostwinde weichen den lauen Lüften des Südens,
die vom schwarzen Meer uach der Steppenplatte emporsteigen- der Schnee
schmilzt, und die Schneewasfer sammeln sich zu Bächen und Flüssen. An jeder
Bodensenkung gleitet Wasser hinab; aus Acker- und Regenfurchen stürzen die
Wasser in zahlreichen Wasserfällen in die Schluchten. Überall plätschert, rieselt,
schäumt und braust es in der Steppe. Der Boden verwandelt sich vielfach in
einen Brei, der die Steppe ungangbar macht. Sehnsuchtsvoll schauen die ab-
gemagerten und verhungerten Pferde und Rinder über die Bretterwand ihres
Schuppens und saugen verlangend die Frühlingsluft ein. Endlich verwandelt
sich die Steppe unter den belebenden Strahlen der Sonne in einen großen
Gras- und Blumenteppich. Duftendes, frisches Gras und krautartiges
Gestrüpp wechselt mit meilenlangen Strichen von Tulpen, Hyazinthen und
Krokus, Wermut und Königskerze, Steinklee, Schafgarbe. Reseda. Kümmel und
Krausemünze. Lawendel und Salbei, Wolfsmilch, Pastinak und anderen Kraut-
pflanzen. All' diese Blumenpracht wirkt aber insofern ermüdend auf den Be-
obachter, als nicht alle diese Gewächse in buntfarbigem Wechsel auftreten,
sondern in einer Art viele Kilometer weit den Boden bedecken. Manche
Kräuter schießen strunkartig hoch empor und verholzen. Hie und da ragt
Distelgebüsch so hoch empor, daß sich ein Kosak darin verbergen kann. Der
Schwarzdorn treibt seine duftenden Blüten, und ab und zu streckt ein wilder
Birn- und Apfelbaum seine blätterarmen Zweige in die Frühlingsluft. Die
User und Niederungen der Flüsse sind mit ausgedehnten Schilfwaldungen
bedeckt.
11*