Object: Die neueste Zeit (Teil 4)

— 167 — 
nicht verwinden konnte und den König gewissermaßen zwingen wollte, 
ihm die Leitung der Geschäfte wieder anzubieten, der Dichter La¬ 
martine, der mit einer schlagenden Beredsamkeit begabt war, aber 
nur unbestimmte Ideale von Volksfreiheit und Volkssouveränität zum 
Ausdruck brachte, und Odilon Barrot, ein Mann, der in den 
Ideen von 1789 lebte. Sie griffen bei jeder Gelegenheit nnd be¬ 
sonders auch in der Kammer das ganze Regierungssystem an, beschul¬ 
digten den Minister, daß er die Verfassung verletze, aber sie dachten nicht 
daran, den König zu entthronen. Ihre nächste Forderung war eine 
Resorm des Wahlgesetzes. Sie trugen darauf an, daß alle von der 
Regierung abhängige Beamte aus der Deputiertenliste entfernt würden. 
Auch nachdem dieser Antrag von der Kammer, in der das Ministerium 
noch immer auf eine starke Majorität zählen konnte, abgelehnt worden 
war, ließen die Führer der Opposition ihren Plan nicht fallen, 
sondern brachten den weitergehenden Vorschlag ein, den Census ^Steuer- 
betrag) der Wähler von 290 auf 100 Fr. zu vermindern und die 
Zahl der Deputierten zu erhöhen. Man hoffte damit die Kammer im 
demokratischen Sinne umzuwandeln. Als auch dies verworfen wurde, 
wandte man sich an das Publikum und suchte bei Banketten, an 
denen nicht selten tausend und mehr Menschen teilnahmen, die öffent¬ 
liche Meinung gegen das Ministerium aufzuregen. In allen größeren 
Städten gab es Reformbankette. Thiers hielt sich äußerlich fern, war 
aber desto mehr im geheimen thätig. In dieser kritischen Zeit (im 
September 1847) wurde Guizot, der bisher bereits die Seele des 
Ministeriums gewesen war, durch königliche Ordonnanz zum Minister¬ 
präsidenten erhoben, was den Anschein erweckte, als wollte der 
König selbst den Wünschen des Volkes durchaus nicht entgegenkommen. 
Guizot unterschätzte die Mißstimmung im Lande. Wiederholt hatten 
verschiedene Parteien, Legitimisten (Anhänger ber älteren Linie 
der Bourbons), Repulikaner und Anarchisten (Umsturzmänner), 
Volksausstände in Scene gesetzt, und immer war die Regierung mit 
Hilfe der Natioualgarde Sieger geblieben. Warum sollte dies nicht 
auch jetzt gelingen? Als im Dezember 1847 die Kammern wieder zu¬ 
sammentraten, hatte die Opposition große Fortschritte gemacht. La¬ 
martine nnd seine Freunde erinnerten bereits an die Revolution von 
1789 und erklärten, daß die ersten Rechte der Nation, das Versammlungs¬ 
recht und die Freiheit der Presse, bedroht seien. Selbst die Konser¬ 
vativen (die Erhaltenden) wünschten eine Änderung des Wahlmodus. 
Der Groll gegen das Ministerium stieg von Tag zu Tag. Die Oppo-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.