A. Das Deutsche Reich und die Erdteile: 3. Asien.
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Hanf, Bohnen, Erdnüsse und andere Ölpflanzen gedeihen ebenso vorzüglich wie
Gemüse. Die Dörfer liegen in Obstgärten, Maulbeer- und Eichenhainen versteckt.
Dagegen fehlt Viehzucht im europäischen Sinne, weil es an Weideland mangelt.
Esel, Maultiere, schwarze Schweine, Mengen von Enten, Tauben und Hühnern be-
leben das Land. Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen sind seltener.
Die Zukunft Schantungs beruht auf seinen reichen Bodenschätzen.
Ausgedehnte und bei der Kohlenarmut des ostasiatischen Küstengebietes doppelt
wertvolle Felder von fetter, flammender, schwarzer Glanzkohle, die geringen Rauch
entwickelt und zur Koksbereitung sich trefflich eignet, werden in Schantung ge-
sunden. Bisher beherrschten die durch den Transport teuren englischen und
australischen Kohlen im Verein mit der minderwertigen japanischen Kohle den oft-
asiatischen Markt. Da nun ein geeigneter Verschiffungsplatz für die S ch a n tu n g-
kohle in Tsingtau hergestellt ist, wird diese die fremden Kohlen von den oft-
asiatischen Küsten in absehbarer Zeit verdrängen, denn der deutsche Bahnbau schafft
sie zu billigen Frachten an die Küste. Daraus erklären sich der Neid und die
Widerwärtigkeiten, die wir von seiten Englands, Australiens und Japans erfahren.
Der deutsche Bahnbau folgte der alten Handelsstraße ins Innere, die die
obenerwähnte Furche benutzt. So verband unsere Eisenbahn volkreiche Handels-
stüdte und fruchtbare Ackerbaugebiete mit Tsingtau und stellte vor allem den An-
schluß an die Eisenerzlager und die nördlichen Kohlenfelder her. Sie brachte den
Handel von Schantung in erfreulichen Aufschwung. Viele chinesische Groß- und
Kleinhändler siedelten sich neben deutschen und anderen ausländischen Großhandels-
firmen in Tsingtau an, das nunmehr als Ausgangstor für die Provinz gilt.
Tsingtau wurde zwischen den aufgeforsteten grünen Hügeln der Halbinsel und dem § 92.
tiefblauen Meer von der deutschen Verwaltung großzügig erbaut an einer
Stelle, die Raum für eine Millionenstadt bietet. Breite, saubere Straßen mit elek-
irischer Beleuchtung und Kanalisation zur Ableitung der oft heftigen Regengüsse,
Trinkwasserleitung, stattliche Regierungsbauten, eine Markthalle und ein Schlacht-
Hof, der Prachtbau der Deutsch-Asiatischen Bank, ein freundlicher Bahnhof, große
Geschäftshäuser machen den Ort zu einer modernen und schönen Stadt. Tsingtau
ist ein Freihafen, genießt aber zugleich die Vorteile eines chinesischen Vertragshafens.
So erhebt ein chinesisches Seezollamt die Zölle, liefert jedoch 20% davon ans Deutsche
Reich ab. 1911 betrug Tsingtaus Gesamthandel bereits 130 Millionen Mark, wovon
60Millionen auf die Ausfuhr (Strohborten, Ol, Seide), 70Millionen auf eingeführte
Waren nichtchinesischen und chinesischen Ursprungs (Baumwollwaren, Zucker, Zünd-
Hölzer, Farben, Papier, Seife) entfallen. Die Einfuhr hat in den letzten sechs Jahren
einen Stillstand erfahren, die Ausfuhr sich stetig weiterentwickelt.
Tsingtau bildet einen Stützpunkt für unsere maritimen Interessen.
Seine Befestigungen und Hafenanlagen, die Docks und Ausbesserungswerkstätten
für große Kriegs- und Handelsfahrzeuge machen uns unabhängig von den britischen
(Hongkong, Singapore) und japanischen Dockgesellschaften.
Als Kohlenausfuhrhafen nimmt es einen schnellen Aufschwung. Sein
Handel überflügelt den des nur 200 km entfernten Vertragshafens Tschifu und stand
1908 bereits an der siebenten Stelle der Vertragshäfen. Darum unterhalten Ruß-
land, das vor dem Japanischen Kriege zu unseren Hauptwidersachern in China gehörte,
die Union, das Britische Reich und Japan bereits Konsulatsvertreter in der Stadt.
Der Geldverkehr, der sich nach dem im Kurse arg schwankenden mexikanischen
Silberdollar bewertet, wird von der zu merkbarem Einfluß auf den chinesischen
Auslandshandel gelangten Deutsch-Asiatischen Bank vermittelt, die auch in Tsingtau
eine Zweigstelle errichtete und das Recht zur Ausgabe von Papiergeld erhielt.
E. von Seydlitz, Geographie. Kn.Ob.K!. 9