Aus dem Nibelungenlied.
41. Rüdeger der Held sprach: „Wie gern wär's euch gegönnt,
daß ich euch meiner Gaben die Fülle wägen könnt'
in so getreuem Sinne, wie ich's einst gedacht,
würde nur darob nicht bittrer Vorwurf mir gemacht!“
42. „Laßt ab, edler Markgraf!“ sprach da Gerenot,
„denn geliebten Gästen nie ein Wirt entbot
so rechte Lieb' und Treue würdiglich wie Ihr.
Wir wollen's reich vergelten, entrinnen noch lebendig wir.“
43. „Wollte Gott, Herr Gernot,“ sprach da Rüdeger,
„daß ihr am Rheine wäret, und nicht ehrenleer
ich im Tode läge, denn euch muß ich bestehn!
Herbres Leid von Freunden ist fremden Gästen nie geschehn.“
44. „Herr Rüdeger, Gott lohn' Euch,“ sprach da Gerenot,
„Eure reiche Gabe! Leid wär' mir Euer Tod,
und müßte mit Euch sterben ein so edler Sinn!
Hier trag' ich Eure Waffe; Ihr gabt sie mir zu Gewinn.
45. In dieses Kampfes Drange ließ sie mich nie im Stich;
tot liegt vor ihrer Schärfe manch Recke ritterlich.
So edel, gut und glänzend und treu ist die Wehr.
Fürwahr, so reiche Gabe gibt ein Recke nimmermehr.
46. Doch wollet Ihr's nicht lassen, besteht Ihr uns im Streit,
schlagt Ihr der Freunde einen aus meinem Heergeleit:
mit Eurem Schwerte nähm' ich Leben Euch und Leib!
Ihr jammert mich von Herzen und Euer hochgesinntes Weib.“
47. „Wollte Gott, Herr Gernot, und möcht' es so geschehn,
daß es Eurem Vorsatz nach Wunsch möcht' ergehn,
und Eure Freunde möchten all gerettet sein!
Auf Euch wohl könnten bauen mein Weib und die Tochter mein.“
48. Da sprach von Burgunden der schönen Ute Kind:
„Herr Rüdeger, was tut Ihr? Die mitgekommen sind,
sind all Euch treu gewogen. Ihr habt Euch schlecht bedacht,
daß Eure schöne Tochter Ihr so früh zur Witwe macht.
49. Wenn Ihr und Eure Recken im Kampf mir Feinde seid,
wie so falsch und feindlich zeigt Ihr's mir zum Leid,
daß ich Euch vertraute vor jedem andern Mann
und zum trauten Weibe Eure Tochter mir gewann!“
50. „Eurer Treu gedenket, edler König hehr,
läßt Euch Gott von hinnen!“ sprach da Rüdeger.
„Für den Vater büßen laßt die Jungfrau nicht;
seid gütig ihr und gnädig gemäß Eurer Ritterpflicht!“