Full text: Quellenlesebuch für den Unterricht in der Länder- und Völkerkunde

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wäre er seiner hohen Bedeutung für dieselbe sich wohl bewußt. Er durch- 
zieht eine riesige Ebene; an seinen Ufern weiden weithin sichtbar zahlreiche 
Herden; einige FortS beherrschen Stadt und Fluß, stören aber das friedliche 
Bild nicht im geringsten. Noch zwanzig Standen von ihrer Mündung in 
die Nordsee entfernt, bringt die Schelde doch die Wirkungen von Ebbe "uud 
Flut bis in die Stadt hinein und hat bei 600 Nieter Breite zur Ebbezeit 
10 Meter Flußtiefe. Kein Wunder deshalb, weun sie die gigantischen Ost- 
indienfahrer bis vor die Warendepots an den Kais trägt. . . 
Ich habe schon manchen Seehafen und manch großen Handelsplatz ge- 
sehen; aber in Antwerpen begegnete mir ein so erdrückendes Schiffs- und 
Verkehrsleben, daß ich da stuud, wie vom Himmel gefallen. Ein ganzer 
Urwald von Schiffsmasten starrte vor mir in die Lüfte. Unzählbare Mengen 
von Segel- und Dampfschiffen lagen in den Häfen, so gedrängt und dicht 
nebeneinander, daß man sich wundern mußte, wie dieser Knäuel vou Schissen 
sich wieder lösen könnte. Tauseude vou Menschen sind beschäftigt, die 
Schiffe zu belasten oder zu entleeren. Ganze Berge von Schiffsgütern 
aller Art und aller Länder harren der Ladung, die von einer verwirrenden 
Masse von Wagen besorgt wird. Eine Reihe von Riesengebäudeu an den 
Häfen hin dienen als Zoll- und Lagerhäuser. Großartige Schienen- und 
Bahnhofsanlagen kommen bis an die Bassins, um das, was diese Tausende 
von Schiffen übers Meer hergebracht haben, über die Erde hiu zu zer- 
streuen. Garküchen, Matrosenkneipen, Restaurants, Agenturen, Konsulate 
aller überseeischen Länder nehmen die Kais von der Stadtseite her ein. 
In der Mitte zwischen den zwei innersten nnd belebtesten Bassins erhebt 
sich, alt und ehrwürdig, das Hansahans, von den drei Hansestädten 1568 
für ihren Konsul gebaut. Es kann aber, trotz seines Alters, nicht leicht 
einen größern Verkehr vor sich gesehen haben als hente. 
(5. Holländische Landschaft bei Seeland.) Das Land zwischen 
Antwerpen und der holländischen Grenze ist Heide. Kaum haben wir aber 
das Gebiet Hollands betreten, so zeigt sich uns zwischen Oudenbosch und 
Zevenbergen in kolossalen Ebenen das Weideland dieses Königreiches. 
Wer einmal eine holländische Landschaft gesehen, hat alle gesehen. Und 
wer nie eine erblickt, der denke sich nur Wiesengründe von zahllosen Kanälen 
durchschnitten oder von Fluß- und Meeresarmen bespült, von schwarzen 
Rindeiherden beweidet, bisweilen von Pappeln und Ulmen umsäumt und 
gar oft von Windmühlen belebt. Freundliche Dörfer mit niedrigen Häusern, 
alte Dome neben vielen kleinen Kirchtürmen heben sich weithin sichtbar aus 
diesen Ebenen ab. Das Land ist ähnlich wie in Flandern und Brabant, 
aber weit niedriger, flacher und wässeriger. Von der letzteren Eigenschaft 
konnte ich mich gleich überzeugen, als wir bei Moerdifk über das „Hollandsch 
Diep" fuhren. 
In der Nacht des 18. November 1421 brachen die Fluten der Maas 
und Waal so verheerend in das Land ein, daß oberhalb Dordrecht 22 Dörfer 
mit 100000 Menschen im Wasser ihr Grab fanden. Das überschwemmte 
Terrain ist bis heute ein „verdrouken land" geblieben, der Biesbosch (Binsen- 
dusch) genannt, mit einem Konglomerat sumpfiger Inseln. Eine breite Bucht, 
welche beim Biesbosch noch einen Teil der Maas aufnimmt, verbindet dieses 
Jnselland unmittelbar mit dem Meere und heißt das „Hollandsch Diep". 
Über dieses 2640 m breite „Diep" (Tiefe) hat nun der holländische Unter-
	        
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