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gewaltigen Domtürmen, die riesenhaft sich recken, zugleich durch ihre reiche
und kunstvolle Gliederung überraschend. Nun stehen wir vor dem prächtigen
West-, dem Hauptportal: Links und rechts je ein Riesenturm, 156 Meter
hoch. Es fehlen uns völlig die Maßvergleiche, um solche Höhe richtig zu
schätzen. Dort der 40 Meter hohe llhrturm des Bahnhofes, welch ein Zwerg!
Daneben die gewaltige, zu 24 Meter Höhe sich wölbende Bahnhofshalle,
wie tief zur Erde gedrückt! Wir steigen die Stufen hinan, und nun stehen
wir im Inneren des Domes. Wie gewaltig siud die Säulen, und doch wie
schlank erscheinen sie, mißt das Auge ihre Rieseuhöhe! In einen Wald von
Säulen, einem herrrlichen Bnchenwalde vergleichbar, schauen wir hinein.
Nicht jeder Besucher des Gotteshauses mag das Gefühl, das zum Himmel
reißt, in diesem gotischen Stil empfinden. Aber jener Schweizer, der beim
Anblick des Kölner Domes das Bild seiner Heimatberge wiedererstehen sah,
hat es tief empfunden. „Der Dom ist", so schrieb er in seinen Reisebildern*),
„das Märchen vom versteinerten Wald, so wunderbar, daß man davor wie
ein Steiu stillsteheu uud ganz tiefsinnig werden könnte . . . Wie ein
Gebirge erschien mir der Dom, wie ein Gebirge ans Menschenhand und
nach den Gesetzen der Kunst. Eine Zacke trägt und stützt die andere, jede
will höher als die andere ... alles strebt wettflüchtig empor in die Sonne".
Der Grundstein zu diesem herrlichen Bauwerke, zu dem die Nationen der
Erde hinpilgern, um es staunend zu bewundern, wnrde am 14. August 1248
durch den Erzbischof Konrad von Hochstaden gelegt. Erst 632 Jahre später,
im Jahre 1880, konnte das Fest seiner Vollendung gefeiert werden. So
sind Jahrhunderte an dem unvollendeten Bau, der wie ein Trümmerbild
einer vergangenen Glanzzeit Kölns uud des deutschen Volkes dastand, ohn-
mächtig vorübergegangen. Sie hätten nie gewagt, ein solches Bauwerk zu
beginnen, uud waren darum auch außer staude, es zu volleudeu. Als der
wirtschaftliche Niedergang der einst so blühenden Hansastadt an seinem Tief-
punkte angelangt, als Deutschlands politische Ohnmacht am größten und der
Rhein abgerissen war vom deutschen Lande, da war auch die Herrlichkeit
des Kölner Domes am tiefsten gesunken; damals konnte sogar, in der Zeit
der Fremdherrschaft, ein französischer Bischof Napoleon den Vorschlag machen,
die Steinmasse, die nur noch als Heumagazin diente, doch abtragen zu lassen.
Dem deutschen Volke ist diese Schmach erspart gebliebeu. Als Köln mit
dem übrigen Teil der Rheinproviuz unter preußische Herrschaft kam, da
brach mit der Zugehörigkeit zu eiuem großen, gut geleiteten Staatswesen,
mit der Eutwickeluug des Rheinstroms zu einer großen, einheitlichen Ver-
kehrsftraße auch wieder, erst langsam, dann schneller, eine nene Zeit der
Blüte an. Mit dem neu erwachenden deutscheu Volksgefühl regte sich auch
das Gewissen, die großen Ausgaben, die die Väter hinterlassen hatten, wieder,
aufzunehmen. Mahnend ragte der Domkran, der zum Wahrzeichen der
Stadt geworden war, auf, uud in den Herzen kunstbegeisterter Männer
begann es sich zu regen. Besonders Snlpiz Boisseree weckte den schlafenden
Volksgeist, und er hatte das Glück, den König Friedrich Wilhelm III. und
mehr noch den damaligen, für die Kunst begeisterten Kronprinzen für
seine Pläue zu gewinnen. 1824 begann man mit Restaurationsarbeiten in
bescheidenem Umfange. Der Baumeister Zwirner war es, der zuerst mit
*) Heer, Im Deutschen Reich, Reisebilder.