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Kopftuch tragen, welches jene an Festtagen bisweilen um ein weißes Häub¬
chen drapieren. Unter der Jacke sind sie mit einem Mieder bekleidet, dessen
Farbe ebenso wie die der meist gestreiften Röcke (deren Zahl je nach dem
Wohlstand verschieden ist) variiert. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß
die religiöseren Familien dunkle Farben bevorzugen.
Wie hierin, so tritt auch in bezug auf Sitte und Aberglaube kein be-
merkenswerter Unterschied zwischen „Kuren" und Litauern zutage, und wie
unter sich, so treffen diese beiden Nationalitäten speziell im Aberglauben
mit den deutschen und slawischen Bewohnern Ostpreußens im allgemeinen
zusammen. Eine Aufzählung der auf der Kurischen Nehrung bemerkten ein-
schlagenden Züge würde hier demnach keinen rechten Zweck haben, doch mögen
ein paar von ihnen erwähnt werden, um Feruerstehenden eine Vorstellung von
ihrem Kolorit zu geben: an Festtagen, am Johannistage uud am Donners-
tagabend darf man nicht auf den Fischfang fahren; wenn ein Kahn fertig
gebaut ist, muß man ihn umgekehrt hinlegen und kreuzweise über seinen
Boden schießen; ehe man neue Aalschnüre in Gebrauch nimmt, schlägt man
im Hause heimlich ein Kreuz über ihnen und speit auf sie, ehe man sie
auswirft; will man ein Netz zum ersten Male im Jahr benutzen, so legt man
eine Axt auf die Schwelle und trägt es darüber; an ganz neue Netze werde»
vor dem Auswerfen Päckchen, welche Nux vomica, Arsenik und dergleichen
enthalten, gehängt; wenn einer verhältnismäßig wenig fängt, muß er seine
Netze mit Schießpulverdampf räuchern, oder aus den Netzen anderer, die
mehr fangen, Stücke ausschneiden und in die seinigen setzen, oder „Schlangen-
Wasser" (ein gewisses Gift) über die letzteren gießen. Auch sei daran er-
innert, daß nach Jachmann S. 206 „der Legende nach in heidnischen Zeiten
eine große Kiefer verehrt sein soll".
Das Urteil der Litauer über die „Kuren" geht meist dahin, daß
diese sehr rasch und lebhaft seien, uud ich will gern glauben, daß sie auf
dem Wasser eine größere Behendigkeit zeigen als die litauischen Haffanwohner,
welche ja schon mehr Landratten sind. Im übrigen aber kann ich die Richtig-
keit jenes Urteils nicht zugeben: das schöue Bild, das Passarge, Aus balt.
Landen S. 253ff., von den Bewohnern Niddens gezeichnet hat, gilt auch
sür die der übrigen Nehrungsdörfer uud wird durch einen gelegentlichen Wort-
Wechsel in der Schenke kaum gestört; es gilt aber, was das Benehmen der
Leute angeht, auch von denjenigen der gegenüberliegenden litauischen Ort-
schasten, und namentlich findet man hier wie dort dieselbe gemessene Höflich-
keit gegen den Fremden, dieselbe ruhige Freundlichkeit gegen den Bekannten,
dieselbe Gastlichkeit, zumal wenn man die Sprache des Volkes spricht und
den gemeinen Mann überhaupt zu nehmen weiß.
Nnr in einem Punkt tritt ein auffälliger Gegensatz zwischen den öst-
liehen und den westlichen Anwohnern des Knrischen Haffes zutage. Ebenso
reich nämlich wie jene an Liedern und Märchen sind, ebenso arm sind diese
hieran: nur drei Volkslieder in lettischer Sprache sind auf der Kurischen
Nehrung bekannt, doch habe ich sie niemals singen gehört, und eins von
ihnen ist bestimmt, ein anderes höchstwahrscheinlich aus dem Litauischen
übertragen; von Märchen fand ich dort keine Spur, uud selbst Geschichten,
wie die in meiner Schrift über die Sprache der preußischen Letten S. 8 ff.
mitgeteilten, wird man unter diesen nur in sehr geringer Zahl auftreiben
können.