Tims. Zerstörung Jerusalems. 
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Bedürfnisse schwiegen. Die zuerst starben, wurden glücklich ge¬ 
priesen, geendigt zu haben, und Viele baten flehentlich die Sol¬ 
daten, ihnen nur das Leben zu nehmen, um ihre Leiden abzu¬ 
kürzen. Und dennoch wurde die Stadt behauptet; denn die wil¬ 
desten Juden (Zeloten) hatten sich der Gewalt bemächtigt und 
wollten von keiner Uebergabe etwas wissen; auch hatten sie für 
sich anfangs noch Lebensmittel genug, die sie den andern Ein¬ 
wohnern geraubt hatten. Endlich wurde die Noth so groß, daß 
die nächsten Verwandten sich einander die Nahrung wegrissen. 
Der schauderhafteste Beweis aber von der Gewalt des Hungers 
ist, daß eine Mutter ihr eigenes Kind verzehrte. Die That war 
bald ruchbar und kam auch zu den Ohren des edlen Titus. Er 
schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und rief Gott zum 
Zeugen, daß er an diesem Greuel nicht schuld sei; er habe ja den 
Juden so oft Gnade angeboten. — Die Angriffe der Römer 
währten fort; ein Theil der Stadt nach dem andern fiel in ihre 
Hände; endlich wurde auch der Tempel erstürmt. Wie gern hätte 
Titus dies herrliche Gebäude erhalten! Aber der Widerstand der 
Zeloten war so heftig, daß sie nur durch Anzündung des Gebäudes 
herausgetrieben werden konnten. Noch einen Monat länger hielt 
sich die Burg, und nun war erfüllt, was Jesus vorhergesagt hatte. 
Die ungeheuere Stadt sank in Trümmer und Graus, die meisten 
Einwohner wurden erschlagen, viele als Sklaven verkauft oder 
in fremde Länder abgeführt. Wie schrecklich ging nun an dem 
unglücklichen Volke der Fluch in Erfüllung, den es selbst über sich 
ausgesprochen hatte, als es Jesu Kreuzigung forderte und dem 
Pilatus drohend zurief: „Sein Blut komme über uns und unsere 
Kinder!" Seit der Zeit hat es sich fast in alle Länder zerstreut, 
hat unter hartem Drucke gelebt, und erst unserer Zeit scheint es 
ausbehalten zu sein, seinen Zustand zu verbessern und es einer 
höhern Cultur zuzuführen. 
Noch muß von Vespasian erwähnt werden, daß er das herr¬ 
liche Colosseum (jetzt Coliseo) erbaut hat, ein ungeheueres Amphi¬ 
theater in Rom, welches zum Theil noch steht und für 60,000 
Menschen eingerichtet war. Rings um den großen mit Sand ge¬ 
ebneten Platz, wo wilde Thiere kämpften oder Fechterschaaren anf- 
traten, erhoben stch hintereinander die Sitzreihen der Zuschauer. 
Noch jetzt erstaunt nian über die Größe der Dimensionen dieses 
gewaltigen Gebäudes. 
Nach Vespasians Tode regierte sein trefflicher Sohn Titus 
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