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160. Der Taillefer.
Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:
„Wer singt in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht
So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?“
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„Das ist der Taillefer, der so gerne singt,
Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen schwingt,
Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht,
Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht.“
Der Herzog sprach: „Ich hab' einen guten Knecht,
Der Taillefer, der dienet mir fromm und recht,
Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut
Und singet so hell, das höhet mir den Muth.“
Da sprach der Taillefer: „Und wär' ich frei,
Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei.
Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!
Wie wollt' ich singen und küngen mit Schild und mit Schwert!“
Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild
Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Schild.
Des Herzogs Schwester schaute vom Thurm ins Feld.
Sie sprach: „Dort reitet, bei Gott! ein stattlicher Held!“
Und als er ritt vorüber an Fräuleins Thurm,
Da sang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm.
Die sprach: „Der singet, das ist eine herrliche Lust!
Es zittert der Thurm, und es zittert mein Herz in der Brust.“
Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer,
Er fuhr nach Engeland mit gewaltigem Heer.
Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand:
„Hei!“ rief er, „ich fass' und ergreife dich, Engeland!“
Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt,
Der edle Taillefer vor den Hewog rite
„Manch Jährlein hab' ich gesungen und Feuer geschürt
Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze geführt.
Und hab' ich Euch gedienet und gesungen zu Dank,
Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank,
So laßt mich das entgelten am heutigen Tag,
Vergönnet mir auf die Feinde den ersten Schlag!“