Sonett. EImmermann. Gelbel. Groth.) 720
Aus den Sonellen für Schleswig. Holstein.
O Muttersprache, reichste aller Zungen,
Wie Lenzwind schmeichelnd, stark wie Wetterdröhnen,
In deren dreimal benedeiten Tönen
Zuerst erfrischt das Wort des Herrn erklungen,
Mit ehrnen Banden hältst du uns umschlungen,
Uns alle, die du zählst zu deinen Söhnen,
Daß keiner sich dem Machtspruch mag gewöhnen,
Der ihm mit anderm Laut in's Ohr gedrungen.
Nun aber wollen dir die Weltgestalter
Entziehn ein ganz Geschlecht nach ihren Launen,
Und dänisch welschen soll's im neuen Alter.
Wohl mag dich, Mutter, fassen drob ein Staunen,
Doch zage nicht! Nein, greif auf deinem Psalter
Ein wehrhaft Lied, schmetternd wie Kriegsposaunen!
— Geibel.
Verlaß mich nicht.
Verlaß mich nicht, wenn einst mein Geist ermattet,
Du schönes Bild aus meinen schönsten Tagen;
Verlaß mich nicht, wenn mit den letzten Klagen
Mein Auge bricht, von Todesnacht umschattet!
Ich schaue dich, mit Allem ausgestattet,
Was je an Schmuck ein Engelsbild getragen;
Noch einmal, wenn die Pulse leiser schlagen,
Erscheine wieder, eh' man mich bestattet.
Erscheine dann in deiner ganzen Schöne,
Wenn mich das Licht der Sonne schon verlassen,
Und mir erstarben alle Erdentöne.
Im letzten Blicke will ich dich erfassen,
Mein Abendstern! der mich der Nacht versöhne,
Mein Morgenstern! wenn alle Stern' erblassen.
—v
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