Er stirbt in Salerno. Gregors VII. Ziel.
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Da die Stunde des Scheidens näher rückte, ließ er sich von allen Anwesenden durch
Handschlag das Versprechen geben, daß Heinrich und Guibert niemals in den Schoß der
Kirche ausgenommen werden sollten, bis beide ihren angemaßten Würden entsagt und dem
Apostolischen Stuhle sich unbedingt unterworfen hätten. Als er schon in großer Schwäche
die Nähe des Hinganges seiner Seele empfand, sprach er seine letzten Worte: „Ich habe die
Gerechtigkeit geliebt und die Gottlosigkeit gehaßt; darum sterbe ich in der Ver¬
bannung." Darauf soll ein ehrwürdiger Bischof erwidert haben: „Herr, du kannst nicht
in der Verbannung sterben; denn du hast au Christi und an der Apostel Statt die Völker
zum Erbteil und die Grenzen der Erde zum Besitztum empfangen." Diese Worte aber ver¬
nahm er nicht mehr. Sein Geist war schon entschwunden. Sein Todestag ist der 25. Mai.
Er hatte den Heiligen Stuhl zwölf Jahre, einen Monat und drei Tage verherrlicht. Seine
Leiche wurde zu Salerno in der Kirche des heiligen Matthäus, die er selbst vor kurzem ein¬
geweiht hatte, beigesetzt.
Man kann von ihm wohl
unbestritten sagen: Sein ganzes
Leben trug nur einen Charak¬
ter; denn vom Beginne bis zum
Schlüsse seiner weltgeschichtlichen
Laufbahn war er in dem, was
er wollte unb verlangte, stets
derselbe, nie wankend in seinen
Grundsätzen, unerschütterlich in
seiner Überzeugung von der
Wahrheit und Richtigkeit dessen,
was er erstrebte.
4. Selten aber hat ein Mann
einerseits ein so ungünstiges und
schwer verdammendes Gericht bei
der Nachwelt gefunden wie dieser
und selten ist anderseits ein so
unbedingtes Lob, eine so unbe¬
grenzte Hochachtung und Verherrlichung über einen Mann in der Weltgeschichte ausgesprochen
worden wie über ihn. Es ist in der Tat unmöglich, über Gregor ein Urteil zu fällen, welches
bei der Verschiedenheit der Ansichten über das Verhältnis des Staates zur Kirche im Mittelalter
allen genügen konnte.1) Sein großes Ziel — er hatte nur eines, in dem alle seine Gedanken,
sein Streben und Wirken aufgingen — liegt vor uns: die Freiheit der Kirche; sie ist
die Sonne seines Lebens, deren Strahlen die ganze christliche Welt durchdringen sollen; sie
ist der Brennspiegel seines Wirkens, in welchem alle seine Taten und Worte sich sammeln.
In ihr geht sein ganzes Leben auf, ihr opfert er alle Kraft, sie ist die Seele seines Wollens
und Handelns. Dieses Ziel zu erringen, gegen alle weltlichen Gewalten zu sichern und für
alle Zeiten und alle Lande geltend zu machen, das war Gregors Lebenszweck und nach seiner
Überzeugung lag dieses Ziel in der Pflicht seines Amtes. Das spricht er klar in seinen
Briefen aus, der besten Quelle zu seiner Beurteilung.
Turm und Mauer der alten Befestigung der Leonina
(im päpstl. Garten).
l) Wir müssen hier vorgreifend die Leser aus die bei der Charakteristik Friedrichs II. des Staufers
gegebene Darstellung des Verhältnisses von Kirche und Staat im Mittelalter hinweisen.