326 Neueste Geschichte. §. 471.
ganze Land; der König billigte die Erhebung der mißhandelten Nation; Alles
versprach einen guten Erfolg. Die Preußen, welche in die Nähe von Warschau
aerückt waren, wurden von den tapfern Generalen Kosciuszko, Dom-
browski und Joseph Poniatowski (des Königs Neffen) zu einem
übereilten und verlustvollen Rückzug genöthigt. Aber das Waffenglück der
Polen mehrte die Rachsucht der Feinde. Im Einverständniß mit Oesterreich
und Preußen schickte Katharina ihren furchtbarsten Feldherrn Suwaroff
nach Polen. Kosciuszko mußte der überlegenen Macht seines kühnen Gegners
10. Oct. weichen. Nach einem unglücklichen Treffen stürzte er mit dem Ausrufe: ,,Po-
1794, lens Ende!" verwundet vom Pferde und ward als Gefangener fortgeführt.
Am 4. November wurde die Vorstadt Praga von Suwaroff erstürmt;
12,000 Wehrlose wurden theils erschlagen, theils in der Weichsel ertränkt.
Das Angstgeschrei und der Weheruf der Verwundeten und Gemordeten
schreckte die' Bewohner der Hauptstadt und machte sie willig zur Ergebung.
Am 9. November hielt Suwaroff als Sieger seinen glänzenden Einzug in
Warschau. Stanislaus Poniatowski mußte die Krone niederlegen; er lebte
bis zu seinem Tod (1798) in Petersburg von einem Jahrgehalt, der ver-
Januar Kenten Verachtung preisgegeben. Einige Monate später erklärten die drei
1 Mächte, sie hätten aus Liebe zum Frieden und um der Wohlfahrt ihrer Unter-
thanen willen beschlossen, die Republik Polen ganz zu theilen. Demgemäß
fiel der Süden mit Krakau an Oesterreich; das Land links der Weichsel mit
der Hauptstadt Warschau an Preußen; alles Uebrige riß Rußland als seinen
„Löwentheil" an sich. So schwand das einst ruhmreiche und mächtige Polen
aus der Reihe der selbständigen Staaten, ein Opfer selbstverschuldeter Schwäche
und fremder, Recht verachtender Gewaltthat. — Kosciuszko, von Kaiser Paul I.
in Freiheit gesetzt, starb als Privatmann in der Schweiz (Oct. 1817). Sein
Leichnam wurde nach Krakau gebracht und unter einem durch freiwillige Ar-
beiten polnischer Patrioten aufgeworfenen Erdhügel beigesetzt.
B. Die französische Revolution.
1. die letzten Zeiten der unumschränkten Königsmacht.
Ludwig tz. 471. Ludwig XV. besaß anfangs die Liebe des Volks in solchem
-j-1774. Grade, daß man ihn den Vielgeliebten nannte und daß, als ihn einst
in Metz eine gefährliche Krankheit befiel, das ganze Land trauerte und seine
Wiedergenesung mit dem größten Jubel feierte. Aber diese Liebe verwandelte
sich allmählich in Haß und Verachtung, als sich der König den schamlosesten
Ausschweifungen hingab, als er den Genossen seiner Lustschwelgereien und
den Dienern seiner Wollust und Sinnlichkeit die Regierung des Landes, die
Leitung der Heere, die Bestimmung über Recht und Staatskunst überließ, und
als Buhlerinnen (Mätressen) ohne Sitte und Scham Hof und Reich be-
herrschten. Unter diesen hat keine größern und dauernder« Einfluß geübt als
die Marquise von Pompadour (t 1764), die zwanzig Jahre lang Frank-
reichs ganzes Staatswesen lenkte, die wichtigsten Aemter mit ihren Günst¬
lingen desetzte, über Krieg und Frieden bestimmte und über die Staatsgelder
wie über ihre eigene Kasse verfügte, so daß sie nach einem in Glanz und
Ueppigkeit verbrachten Leben noch Millionen hinterließ. Sie und ihre Krea¬
turen nährten Ludwigs Sinnlichkeit und Genußsucht, damit er sich turntet
tiefer in oen Pfuhl des Lasters stürze und die Leitung des Staats ihnen