Orientierung. 9
Orientierung nach dem Sternenhimmel.
Am Abendhimmel fällt uns zunächst der Mond auf. Durch ein Opernglas
erscheint er uns nicht mehr als Scheibe, sondern wir erkennen, daß er eine frei im
Weltenraume schwebende Kugel ist. Sein bleiches Licht empfängt er von der
Sonne, und wir sehen immer nur dasjenige Stück der Kugel, das der
Sonne zugekehrt ist. Daher erscheint ^er uns in vier L i ch t g e st a l t e n
(Phasen): als V o l l m o n d , abnehmender Mond, Neumond,
zunehmender Mond. Der Mcmd beschreibt am Himmel ähnliche Bahnen
wie die Sonne; aber er ist viel unpünktlicher; seine Auf- und Untergangs-
zeiten ändern sich rasch, ebenso die Lage seiner Bahn. Deshalb eignet er sich wenig
zur Orientierung.
Zweitens fallen uns einige hellglänzende Sterne auf, die gewöhnlich am Abend-
Himmel zuerst aufleuchten. Der bekannteste von ihnen ist die Venus. Je nachdem
wir sie in den frühen Morgenstunden oder nach Sonnenuntergang beobachten,
nennen wir fie M o r g e n = oder A bendstern. Im Opernglas ist sie nur
ein flimmernder Lichtpunkt; aber in einem großen Fernrohr ist sie eine eben-
solche Kugel wie der Mond. Sogar dieselbe Sichelform nimmt sie bisweilen an.
Daß sie uns so klein erscheint, liegt nur an ihrer viel größeren Entfernung. Ihre
Stellung am Himmel ist sehr wechselnd. Solche Sterne, die zwischen den anderen
fortwährend ihren Platz wechseln, heißen W a n d e l st e r n e oder Planeten.
Als Führer am Himmelsgewölbe können solche unstete Gesellen natürlich nicht
dienen.
Weitaus die größte Zahl der Sterne sehen wir aber Abend für Abend genau in
derselben gegenseitigen Stellung. Es ist, als ob die dunkelblaue Himmelskugel mit
goldenen Nägeln beschlagen wäre. Dreht sich die Kugel, so
machen alle die festsitzenden Nägel die Drehung mit. Des-
halb nennt man solche festsitzenden Sterne auch Fix-
sterne (fix heißt nicht etwa „schnell", sondern kommt
vom lateinischen fixus = fest!). Die Fixsterne sind feurige
Kugeln wie unsere Sonne, aber in ungeheurer Ferne von
uns. Um sich die leuchtendsten Fixsterne einzuprägen, denkt
man sich dieselben durch Linien zu Figuren verbunden,
und die Gelehrten des Altertums haben für diese Figuren
die sonderbarsten Namen erfunden, wie Drache, Schlange,
Widder, Löwe, Fuhrmann. Das bekannteste „Stern- Tie^£5", aL®"&en
bild" ist der „Große Bär" oder Himmels-
wagen. Ähnlich gebaut ist der „Kleine Bär", den man vom großen
aus durch eine Linie findet, wie es obenstehende Figur zeigt.
Im Laufe einer Nacht dreht sich das Himmelsgewölbe. Der „Himmelswagen"
fährt im Kreise, der kleine Wagen ebenfalls. Aber der Stern an der Deichselspitze
steht still wie bei einem sich drehenden Wagenrad die Achse. Deshalb dachten sich die
alten Völker auch wirklich die ganze Himmelskugel gleichsam an eine Achse aufgespießt
(Himmelsachse), und der feststehende Endpunkt dieser Achse, der eben bei der Deichsel
des kleinen Wagens liegt, hieß der Drehungspunkt oder P o l (griechisch polos =
Drehungspunkt). Der dort stehende Fixstern erhielt davon den Namen Polar¬
l
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