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engen Straßen hinauf bis in den Wald; es ist nicht mühelos, die
Wege hängen steil, auch gibt es schmale Treppen. Bald aber geht
der Blick zurück über die vielgetürmten, vielhügelig aus ihrer Rinne
an den Bergen hinauf gewachsenen Städte. Die hundertfach verwirren¬
den Geräusche gehen unter in einem leise verworrenen Lärm. Die Wald¬
luft lockt uns an, die wir noch kaum zu atmen meinten in dem Ge¬
wühl; in einer halben Stunde find wir oben. Die Königshöhe heißt
der Berg; da steht, die Bäume überragend, so daß man auf einen
Teppich von Baumkronen niederblickt, ein schlanker Aussichtsturm. Es
ist nicht klar, doch hilft das Licht von Westen dem Blick hinein: da
liegt die ungeheure Straße, daran dreihunderttausend Menschen ihre
emsige Arbeit tun; bald schmal, bald breiter hingestreckt und in der
Ferne mit einer Wand von Häusern sich verlierend. Rundum ist Wald
mit Ackerfeldern und einzelnen Gehöften; die Welt hat so viel Platz,
und unten drängen sich die Dächer so dicht, wie man bei Volksver¬
sammlungen von oben die Hüte wogen sieht, und jedes Dach hält
viele Menschenseelen unter sich, davon sich jede, wehmütig oder fröhlich,
fanatisch oder gelassen, doch ihre eigne Welt aufbauen möchte.
Die Dämmerung fällt früh in diese Welt. Wir gehen durch den
Wald nach rechts, wo sich ein Fahrweg abwärts wendet und zwischen
Waldhängen, aus einer engen Falte, im schmalen Ausschnitt das Bild
der Stadt zusammendrängt:
Die stille Stadt.
Liegt eine Stadt im Tale,
Ein blasser Tag vergeht;
Es wird nicht lange dauern mehr,
Bis weder Mond noch Sterne,
Nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
Es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
Lein Laut aus ihrem Rauch heraus,
Laum Türme noch und Brücken.
Doch als dem Wandrer graute,
Da ging ein Lichtlein auf im Grund,
Und durch den Rauch und Nebel
Begann ein leiser Lobgesang
Aus Lindermund.
(Richard Dehmel.)