2. Das Glück durch die Gelbwurst.
Der alte Tuchfabrikant Keller pflegte gern folgende Geschichte zu erzählen:
„Ich war erst kurze Zeit aus der Fremde zuruͤck und haͤtta mein eigenes,
kleines Geschäft angefangen. Da war die Leipziger Wollmesse. Ich reise hin
und nehme einen Kredithrief von 1000 Speciesthalern mit. Das war, wenn
man alle Winkelchen zusammenkehrt, mein ganzes Vermögen; ich war aber
jung und gesund, und was glaubt man da nicht mit 1000 Speciesthalern
machen zu können! Ich reise also nach Leipzig und gebe meinen Kreditbrief
im Hause „Frege und Kompagnie“ ab. Der alte Frege läßt meinen Namen
in sein Buch einschreiben und wünscht mir gute Geschäfte. Ich sehe aber bald,
daß sich mit 1000 Thalern nicht biel machen läßt. Was thuts? Geht nicht
viel, so geht wenig; besser leiern, als feiern, sagt das Sprichwort. Ich suche
mir also eine Partie Wolle aus und gehe hin, um mein Geld zu holen. Da
sagt mir der alte Frege, es sei gut, daß ich komme, er habe nicht gewußt, wo
ich logiere. Ich hatte das gern nicht gesagt, da ich wieder, wie einst als
Handwerksbursche, in der Herberge wohnte. „Nun“, sagte der Herr Frege,
„essen Sie morgen Mittag bei mir, Sie werden da noch große Gesellschaft
finden.“ Ich konnte nichts Rechtes darauf erwidern und geh' weg.
Ich erkundige mich nun, was man bei einer solchen Einladung zu thun
hat, und was dabei herauskommt. Man sagt mir, wie es Sitte sei, daß jedes
große Handlungshaus seine Empfohlenen durch eine Einladung, wie man
sagt, abfüttert, daß nicht viel dabei herauskomint, als daß man das Essen
teuer bezahlen muß, indem es mindestens 19, Thaler Trinkgeld an die Be—
dienten kostet. Das war mir nun gar nicht lieb. Ich rechnete aus, daß
mir von 1000 Thalern nur noch 9981, blieben, und für ein Mittagessen
konnte ich nicht so viel aufwenden.
Andern Mittags war ich kurz entschlossen. Ich kaufe mir für 2 Groschen
Gelbwurst, für sechs Pfennige Brot, stecke es zu mir und gehe hinaus vor
das Thor, in das sogenannte Rosenthal. Mein Tisch war schnell gedeckt. Ich
setze mich auf eine Bank und wickele meine Sachen heraus, ich zerschneide die
Gelbwurst in sechs Teile und lege sie neben iich hin; „das“, sage ich, „ist
meine Suppe, das mein Fleisch, das mein Gemüs' mit Beilage, das meine
Fische und das mein Braten und Salat.“ Ich glaube nicht, daß sie drinnen
in der Stadt bei Frege mehr hatten, und daß es ihnen besser schmeckte. Ich
war eben an der süßen Schüssel, sie war sehr gut zubereitet, da seh' ich einen
Mann auf einem schönen Braunen daherreiten, der, denke ich, macht sich noch
ein bißchen Bewegung vor dem Essen, daß es ihm besser schmeckt. Ich wünschte
ihm meinen gesunden Magen; ich brauchte kein Pferd müde zu reiten, uͤm
tüchtig einhauen zu können. Schneller, als ich dies sage und denke, ist der
Reiter neben mir, und zu meinem Schrecken sehe ich, es ist der Herr Frege
selber! In meiner Angst fällt mir der letzte Bissen von meiner süßen Speise