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Dinge berühren wollte, die den von Gottes gewaltiger Hand Niedergeworfenen
schmerzlich berühren mußten. Ich hatte durch Karl Offiziere aus der Stadt
holen und Moltke bitten lassen zu kommen. Wir schickten dann einen der
ersteren auf Rekognoszierung und entdeckten eine halbe Meile davon in
Fresnois) ein kleines Schloß mit Park. Dorthin geleitete ich ihn mit einer
inzwischen herangeholten Eskorte vom Leibkürassierregimente, und dort
schlossen wir mit dem französischen Obergeneral Wimpffen die Kapitulation,
vermöge deren 40- bis 60000 Franzosen (genauer weiß ich es noch nicht)
mit allem, was sie haben, unsere Gefangenen wurden. Der vor- und gestrige
10 Tag kosten Frankreich 100000 Mann und einen Kaiser. Heut früh ging
letzterer mit allen seinen Hofleuten, Pferden und Wagen nach Wilhelms
höhe bei Kassel ab.
Es ist ein weltgeschichtliches Ereignis, ein Sieg, für den wir Gott dem
Herrn in Demut danken wollen, und der den Krieg entscheidet, wenn wir
1s auch letzteren gegen das kaiserlose Frankreich noch fortführen müssen.
Ich muß schließen. Mit herzlicher Freude ersah ich heute aus Deinem
und Marias Briefen Herberts Eintreffen bei Euch. Bill sprach ich gestern,
wie schon telegraphiert, und umarmte ihn angesichts Sr. Majestät vom Pferde
herunter, während er stramm im Gliede sand. Er ist sehr gesund und
20 vergnügt. Leb wohl, mein Herz! Grüße die Kinder! Dein v. B.
345. O lieb, so lang du lieben kannst!
Freiligrath.
1. O lieb, so lang du lieben kannst!
O lieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
2. Und sorge, daß dein Herze gluͤht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
So lang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt.
3. Und wer dir seine Brust erschließt,
s0 O thu ihm, was du kannst, zu lieb!
Und mach ihm jede Stunde froh
Und mach ihm keine Stunde trüb!
4. Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt;
s6s O Gott, es war nicht bös gemeint,
Der andre aber geht und klagt.
5. O lieb, so lang du lieben kannst!
O lieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
6. Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen trüb' und naß
—Sie sehen den andern nimmermehr
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.
7. Und sprichst: Oschauauf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint;
Vergieb, daß ich gekränkt dich hab',
O Gott, es war nicht bös gemeint!“
8. Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umpfängst,
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!“
9. Er that's, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Thräne fiel
Um dich und um dein herbes Wort;
Doch still — er ruht, er ist am Ziel.
10. O lieb, so lang du lieben kannst!
O lieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
9sprich: Frenoa!