feit und das impulsive Wesen des Südländers, dem verschlosseneren
und bedenklicheren Nordländer gegenüber, genährt wird. Tatsächlich
wird im Süden unzweifelhaft im Durchschnitt die Wahrhaftigkeit weniger
hoch gehalten, als im Norden, ein Versprechen und eine Beteuerung
leichter gegeben und genommen als bei uns. Man muß sich aber hüten,
diesen Gegensatz zu hoch einzuschätzen und zu sehr zu verallgemeinern.
Ein gut Teil davon liegt in der äußeren Form und der Gewohnheit;
der Redner weiß, daß der Zuhörer schon von selbst den nötigen Ab¬
zug anbringt, wenigstens wenn das persönliche Interesse in Betracht
kommt. Der Südländer macht sich namentlich im Geschäftsleben kein
Gewissen daraus, seinen Mitmenschen zu übervorteilen, wenn dieser es
sich gefallen läßt — dazu hält er sich für berechtigt, und daher stammt
die allgemeine Gewohnheit des Feilschens und Abhandelns. Anderer¬
seits ist er Leuten gegenüber, die mit ihm durch irgendein Band ver¬
bunden sind, vor allem durch die Bande der Familie, die viel weiter
begriffen und viel heiliger gehalten werden als bei uns, oder auch
der Gefolgschaft, der Blutsbrüderschaft, der Gastfreundschaft oder der
Verschwörung zu politischen oder verbrecherischen Zwecken, zu der auf¬
opferndsten Treue bereit.
Auch in diesen Eigenschaften haben der Islam und das Araber-
und Türkentum in ihrem Bereich das mediterrane Wesen stark um¬
gestaltet. Beide Völker und der Islam selbst stammen aus der Steppen-
und Wüstenregion und haben auch den von ihnen durchsetzten Völkern
manchen Zug ihres heimischen Wesens aufgeprägt. Bei den mohamme¬
danischen Völkern des Mittelmeeres lebt der Mann nicht weniger in
der Öffentlichkeit, übt sich nicht weniger im beständigen Umgang mit
seinen Volksgenossen in der Rede und in der Behandlung seiner Mit¬
menschen, als bei den christlichen Völkern. Er ist auch keineswegs im
Durchschnitt ehrlicher. — Aber der Islam mit seiner großen Wert¬
schätzung der Würde und Gelassenheit dämpft äußerlich sein Feuer,
und mit seinen starren politischen Formen und seiner Hochhaltung der
Autorität hat er den politischen Sinn ertötet. Daß die Türken auch
tatsächlich phlegmatischer und unbeweglicher sind, als die anderen Mittel¬
meervölker, ist eine ihnen besondere Nationaleigentümlichkeit, die hier
ebensowenig weiter zu erörtern ist, als die mannigfachen Abstufungen
und Unterschiede des geschilderten Wesens bei den anderen einzelnen
Mittelmeervölkern.
Neuland. VII. 3 Aufl.
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