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Am Fuldaknie nördlich von Hersfeld ist Bebra (2700 Einw.),
ein sehr wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, da hier die Bahnen von der
Werra her über Sontra und von Eisenach durch die Senke nördlich
vom Süllingswalde ins Fuldathal einmünden. Die alte Verkehrsstraße
an der Fulda entlang führt von Bebra weiter über Rotenburg
(3000 Einw.) und Melsungen (3700 Einw.) nach Cassel.
Die Stadt Cassel liegt in der größten und fruchtbarsten
Thalweite an der Fulda und verdankt ihre Größe (106000 Einw.)
namentlich dem Umstände, daß hier der sehr wichtige Weg vom Main
her durch die Hessische Senke mit der Straße durch das Fuldathal
zusammentrifft. Beide führen dann gemeinsam nordwärts nach Nieder-
sachsen. Da zudem die Fulda bis Cassel hinauf schiffbar ist, so ist
die Stadt auch durch eine Wasserstraße mit Norddeutfchland ver-
bunden. Endlich gestattete das niedrige Bergland zu beiden Seiten
des Fluffes eine Eisenbahnverbindung Cassels mit Thüringen, Sachsen
und Westfalen. Die benachbarten Braunkohlen-, Thon-, Sandstein-
und Gipslager wie auch die nicht fernen Eisenschätze Westfalens er-
möglichen eine sehr rege Industrie, während die herrliche Umgebung
der Stadt mit dem Schloß und Park Wilhelmshöhe zahlreiche Fremden
herbeizieht. So ist Cassel, da auch die hessischen Fürsten sür ihre
Residenz stets viel thaten, zur größten Stadt im Norden der Provinz
aufgeblüht.
Die Haupt- und Residenzstadt Cassel liegt an beiden Seiten der untern
Fulda in einem schönen und fruchtbaren Thalbecken. Dieses Thal wird nordwärts
von den Vorbergen des Reinhardswaldes, im Westen vom Habichtswalde und iin
Süden von der Söhre beherrscht. Cassel ist eine der schönsten Städte Deutschlands.
Sie ist ausgezeichnet durch viele breite und gerade Straßen, durch große, sreie
Plätze und durch eine herrliche Umgebung. An dem über 300 in langen Friedrichs-
platz mit dein Standbilde des Landgrafen Friedrich II. liegen das königliche Schloß,
das Museum mit der Landesbibliothek, die Kriegsschule und die katholische Kirche.
Der kreisrunde Königsplatz, an dem das Postgebäude steht, hat ein sechsfaches
Echo. Auf dem Martinsplatze steht die Martinskirche, die größte und schönste
Kirche der Stadt, mit zwei 73 in hohen Türmen. In ihr ist das Grabmal Philipps
des Großmütigen. Diesem bedeutendsten aller hessischen Fürsten hat man auf dem
Martinsplatze vor der Kirche ein prachtvolles Denkmal errichtet. Am Schloßplatze
liegt das Regierungsgebäude. Der Karlsplatz trägt das Denkmal des Land-
grasen Karl. Der viereckige Ständeplatz mit dem Ständehause ist von einer
mehrfachen Reihe von Linden umgeben. Außer den genannten hat die Stadt noch
mehrere andere große Plätze. Die schönsten Straßen sind die Königsstraße,
die Hohenzollernstraße und die Schöne Aussicht. Cassel hat 9 Kirchen
und eine Synagoge, schöne Schulgebäude, ein königliches Theater und viele Fabriken.
In dem Vorort Wehlheiden sind eine Strafanstalt und ein Diakonissenhaus.
Vom Friedrichsplatz führt das mit dem Siegesdenkmal für 1870/71 gezierte Aue-
thor in die Karl saue. Diese ist eine der schönsten Parkanlagen Deutschlands.
In ihr befinden sich das Orangerieschloß, das Marmorbad und das Hessen-
denkmal. Cassel ist Sitz des Oberpräsidiums der Provinz, der Bezirksregierung,
eines Oberlandesgerichts, eines Konsistoriums und des Generalkommandos des
11. Armeekorps.
Von Cassel sührt eine elektrische Bahn durch eine schnurgerade, 4 km lange
Lindenallee nach dem Luftschlosse Wilhelmshöhe mit seinen weltberühmten Park-
anlagen. Auf dem Gipfel des Karlsberges erhebt sich das gewaltige, achteckige
Riesenschloß oder Oktogon, das wieder auf seiner Plattform eine Pyramide mit dem
kupfernen Standbilde des Herkules trägt. Der Herkules (vom Volke der „große
Christoph" genannt) hat fünffache Mannesgröße; in der Keule, auf die er sich