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Wenn aber dieser Grund stichhaltig für die Ablehnung der
Spaziergänge sein soll, so müßte man folgerichtig auch jeden andern
Schulunterricht bekämpfen.
Denn wo ist das sonst in der Klasse nicht der Fall, daß die
Mühe bei weitem nicht den entsprechenden Erfolg hat?
Gerade die ungenügenden Ergebnisse des übrigen Unterrichts
haben uns ja auf die Spaziergänge geführt, von denen wir eine
bemerkenswerte Besserung erwarten.
Unzählige Blüten verschwendet die Natur in jedem Frühlinge,
die nie eine Frucht ansetzen oder zur Reife bringen.
Sind sie deshalb nutzlos gewesen?
Ist unsere Schularbeit vergeblich, wenn wir nicht sofort oder
nicht in einiger Zeit die Früchte sehen?
Hier aber stoßen wir auf einen der entscheidendsten Gründe, die Rücksicht auf
einer Umänderung unserer Schularbeit entgegenstehen: Wir haben Prüfungen,
bei dieser viel zu sehr die schnellen, jederzeit aufzuweisenden Früchte
im Auge! Wir denken viel weniger an das weite Ziel der Aus-
bildung der Schüler für das Leben durch Weckung ihrer Neugierde
und ihrer Aufmerksamkeit, ihrer Lust zum eigenen Beobachten, Unter-
suchen, Forschen, durch Erregung und vorsichtige Pflege ihres Wissens-
triebes, durch Ausbildung ihrer Eigenart und Selbständigkeit als
vielmehr an den — Ausfall der nächsten Prüfung, den jederzeit
möglichen Nachweis der fleißigen Arbeit in der Schule, des dabei
erworbenen Wissens, der Erfüllung der Dienstvorschristen. Nicht
darauf, daß unsere Schüler sich gern und freiwillig mit eigenen
Arbeiten abgeben, daß sie fragen, Auskunft und Hilfe haben wollen,
daß wir in ihnen die Neigung und Liebe zu selbständigen Beschäfti-
gungen oder auch nur zu einer einzigen Arbeit wecken und ausbilden,
sondern darauf, daß die Schüler täglich, wenn ein Schulvorgesetzter
erscheinen sollte, zu einem strengen Verhör bereit, zum glatten Nach-
weise der erledigten Arbeitsmenge imstande sind, daß sie sich deshalb
daran gewöhnen, eigene Regungen zu unterdrücken, nur unsern
Fragen, Weisungen und Befehlen zu folgen und vorschriftsmäßig die
ihnen zugewiesenen Hausausgaben und Klassenarbeiten erledigen —
nicht, daß sie sich selbst Aufgaben suchen und möglichst allein lösen —,
ist unser Eifer gerichtet, unsere Schularbeit angelegt.
Deshalb sind auch trotz aller Betonung der Heimatkunde
unterrichtliche Spaziergänge bisher fast gar nicht gemacht worden,
weil wir es bei dieser Sachlage 1. für viel zu umständlich und
2. durchaus nicht für notwendig und angebracht halten mußten
Nolte, Bodenständiger Unterricht. 5