Full text: Geographie von Europa mit Ausschluß des Deutschen Reiches (H. 2)

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indes den Tod so nahe sah, erschrak er, verließ heimlich den Tempel und 
flehte Scipio knieend um Schutz an. Aber als seine Gattin ihn zu den 
Füßen des römischen Siegers erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über 
diese Schmach und sie rief ihm höhnend zu: „Schone deines Lebens 
sorglich, elender Feigling, nachdem alles, was dir theuer gewesen ist, die 
geliebte Heimat, deine tapfern Landsleute und deine Familie in den Flam¬ 
men den Untergang gefunden hat. Ich verachte ein Leben, das ich der 
Gnade der Römer zu danken hätte!" Mit diesen Worten stürzte sie sich 
selbst nebst ihren Kindern in die Glut. Ein 17tägiges Brand verwan¬ 
delte die stolze Beherrscherin des Mittelmeeres, die blühendste Stadt 
Afrikas, in einen Schutthaufen, und wo die fleißigen Phönicier über 700 
Jahre geschafft und gehandelt hatten, da weideten fortan römische Slaven 
die Herden ihrer Herren. Als Scipio von einer Anhöhe dem Brande 
zusah und an die Vergänglichkeit irdischer Größe dachte, vergoß er Thrä¬ 
nen der Wehmuth und sprach Worte, welche einst Homer dem trojani¬ 
schen Königssohn Hektor in den Mnnd legte: „Einst wird kommen der 
Tag, da die heilige Ilion hinsinkt." Vielleicht ahnte ihm, daß einst auch 
für seine eigene Vaterstadt der Tag der Zerstörung kommen werde. — 
Etwa 600 Jahre später war Karthago wieder aufgebaut und die Haupt¬ 
stadt der Vandalen, einer deutschen Völkerschaft, geworden. Der 
König dieses Volkes, Geiserich, zog mit seinen wilden Scharen nach 
Italien hinüber, und Rom fand jetzt dasselbe Schicksal, welches es Kar¬ 
thago und so manchen andern Städten bereitet hatte. — Als sich der 
Schutt abgekühlt hatte, ließ Scipio Karthago nebst den umliegenden Ort¬ 
schaften dem Erdboden gleich machen, ließ über die öde Stätte den Pslng 
ziehen und Grund nnd Boden auf ewige Zeiten mit einem Fluche be¬ 
legen, daß weder Hans noch Kornfeld dort je entstehen möge. Cato und 
Masinissa von Nnmidien sahen diesen Jammer nicht mehr; denn sie 
starben im 1. Jahre des Krieges in hohem Alter. 
10. Die beiden Gracchen 133 und 123. 
Während Rom nach außen hin seine Macht ungeheuer ausdehnte, 
waren die Verhältnisse im Innern keineswegs so, wie sie hätten sein 
sollen. Zwar war der alte Unterschied zwischen Patriciern und 'Plebe¬ 
jern verschwunden, und alle Bürger galten vor dem Gesetze als gleich¬ 
berechtigt, aber dennoch hatten nur einige wenige Familien, Optimalen 
genannt, welche großen Reichthum besaßen, die ganze Gewalt an sich ge¬ 
rissen, so daß eigentlich sie allein den Staat regierten. Sie allein be¬ 
setzten die städtischen Aemter und schlossen alle aus, welche nicht zu ihnen 
gehörten, mochten dieselben auch noch so tüchtig sein; sie allein waren im 
Besitz faft sämmtlicher Ländereien, indem sie die kleinen Bauernhöfe durch 
Kauf, Wucher, durch List oder Gewalt an sich gebracht hatten. Der 
Stand der freien Bauern, der früher in Rom hochgeehrt war, verschwand
	        
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