§ 152-
B. Züge des Volkscharakters und Volkslebens.
83
politisch angegliedert sind (s.§l^). Im Volksbewußtsein aber lebt die Selbständigkeit
der Oberlausitz fort: erst jenseits des Queis beginnt für ihre Bewohner das
eigentliche Schlesien, und zn Breslau, der provinzialen Hauptstadt, fühlen sie
sich wenig hingezogen. Dennoch wird vom Volkscharakter des Oberlansitzers
ungefähr dasselbe gelten, was Kenner (z. B. Gustav Freytag) vom Wesen des
Schlesiers gesagt haben, Auch der Oberlausitzer ist, wenn man zunächst den
Städter ins Auge faßt, lebhaft, höslich, gutmütig und gemütlich, heiteren Sinnes,*)
dabei emsig und betriebsam, anderseits aber anch wieder leichtsinnig, nicht immer
dauerhaft und zuverlässig („Meißner sind Gleisner", und „Görlitzer sind Wende-
hüte", also politisch unbeständig, so hieß es im Volksmunde), oft von weichlicher
Unentschlossenheit und ohne gewichtigen Ernst. Man will gerade darin die
slawische Blutbeimischung (s. § 150) erkennen. Jedenfalls machen sich Gemüt
und Wille iu gleicher Weise gelteud. Der Bauer zeigt mehr Ernst, Sparsam¬
keit und Schweigsamkeit, auch eine gewisse Neigung zur Einsamkeit; obgleich
im Grunde am Alten, Überlieferten haftend, leiht er doch gern sein Ohr Ein-
flüsterungen und kommt sich dann aufgeklärt vor. Gute Anlagen trifft man
vielfach, aber selten gewaltige Naturen. Heimatliebe und Heimatsinn, die
wiederum nicht freudige Hingabe au das größere Vaterland ausschließen, ver-
binden sich mit einer gewissen Neigung für das Phantastische, daher denn anch
unsere Oberlausitz öfters einen Zug zu religiöser Schwärmerei und Sekten-
bildnng gezeigt hat; man denke z. B nur au Jakob Böhme oder an die An-
Hänger Schwenkfelds und Zinzendorfs. Heutzutage freilich verflacht sich das
Gemütsleben auch hier in den breiten Schichten des Volkes immer mehr, und
der Haug zu Geselligkeit und Lebensgenuß wird anscheinend immer stärker be-
fördert durch die zahlreicheu Vereine und Festlichkeiten, unter denen besonders
die vielen Kirmessen mit Musik und allerlei Kuchen, Schlachtfeste, Schweinskopf-
essen und Bockbierfeste oder „Skatturniere" zu nennen wären. — Anderseits muß
aber auch der Sinn des Oberlausitzers für die Natur, seine Freude an
Ausflügen in die Berge, seine Vorliebe für lichte, sanbere, freundliche Wohnhäuser
mit Blumengärtchen besonders hervorgehoben werden. Nicht von Schmeichlern
nur wird Görlitz, die „Perle Schlesiens", als „Gartenstadt" gepriesen, in der eine
außerordentliche geistige Regsamkeit herrscht. — Einer oberlausitzischen Eigenart
schließlich sei in heimischer Mundart gedacht: „Ich ho's schn gesoit, doß de
Lausnitzr gemittliche Karle wärn, doß es hibsch nngersche zu laben wär und
doß se o an Spoaß verstihn. s Hot oabr a jeds Ding a Ende und dastrwaigen
o der Spoaß; wennmrsch mit enn aus der Äbrlausitz zu weit treibt, doa trittr
ooch uff de Hinterbeene nnd tuttch wehrn und doa wird mrsch bale weise wärn,
doß's fu a Lausntzr saustknippldicke hingern Uhren Hot" (Qoh. Renatus,
Allerlee aus dar Äbrlausitz).
§ 152. Die Volkstracht. „Und wie stieht's denn heute mit der
ahlen Volkstracht? Die gibbts ne mieh" (E. Barber, Hausbacken Brut),
wenigstens nicht mehr bei der deutschen Bevölkerung. In der Stadt
wechselt ja das Kleid mit der Mode; auf dem Lande hat vielleicht
falsche Scham oder der Nachahmungstrieb bei der steten Berührung
*) Eins der besten deutschen Lustspiele, „Minna von Barnhelm", stammt von dem
Oberlausitzer Lessing.
6*