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Abschnitt. Bewohner.
§ lö-L
5. Das Iohannisfest, das Fest der Sommersonnenwende, wird,
obgleich altheidnisch, zäh festgehalten. Auch an ihm leuchten Freuden-
feuer auf den Bergen auf, wie vor Jahrtausenden, aber die Ursprung-
liche Bedeutung ist wohl überall vergessen. In der Urzeit mochten
diese Feuer entzündet werden zur Erneuerung des heiligen Elements¬
oder um den Sieg des Lichtes gegenüber den Mächten der Finsternis-
zu versinnbildlichen. Der alte Germane schrieb dein Feuer eine
reinigende Kraft zu, und so sollten solche Opferfeuer segnende Wirkung
auf das Gedeihen und Wachstum alles Lebendigen, des Menschen, des-
Tieres und auch der Pflanze, ausüben und anderseits von ihnen alle feind-
lichen Mächte (ansteckende Krankheiten, böse Geister und Hexen) abwehren.
l>. Zum Erntefeste wird auf dem Dorfe das Gotteshaus reich
geschmückt; Ehrenpforten werden errichtet, und Burschen und Mägde
durchziehen im Festschmuck mit Kränzen und Sträußen unter Musik-
begleitung (die Burschen auch wohl zu Pferde) das Dorf und beschließen
den Tag mit frohem Tanze im Gasthaus. Ein paar Wochen später,
wenn nicht bloß die letzte Garbe, sondern auch die Hackfrüchte, Gemüse
und Obst eingeerntet finb, gönnt sich der Bauer ein zweites Freuden-
fest, die Kirmes. Zwar spielt die Verpflegung eine Hauptrolle, aber
noch ist nicht jeder geistige und gemütliche Zug erstorben. An diesem
Tage — meist Montag — wird besonderer Gottesdienst gehalten^
und die oft auf mehrere Dörfer zerstreuten Verwandten benutzen das-
Fest, um sich wie zu einem großen Familientage zu besuchen.
7. Bei Hochzeiten hat sich auf dem Lande noch mancher alte
Brauch erhalten; der Hochzeitsbitter und die Züchtfrau oder Zücht-
jungfer spielen dabei eine große Rolle. Bei Begräbnissen in reichen
Bauernhäusern gibt es noch immer einen Leichenschmaus, und am
Jahrestage des Todesfalles wird von den Hinterbliebenen ein Nachruf
veröffentlicht. Am Grabe selbst oder in der Dorftirche sieht man
wohl öfters Sträuße von künstlichen Blumen oder einen Kranz in
einem Glasfchränkchen aufbewahrt, eine Sitte, die auch auf dem
Görlitzer Friedhofe beobachtet werden kann.
8. An eigenartigen volkstümlichen Kinderspielen ist die Görlitzer
Gegend nicht gerade reich. Am meisten fällt noch der „Bändertanz"
der Mädchen auf, der indes nur bei Schulfesten veranstaltet wird,
ferner das Spiel mit Murmelkugeln oder dem Kreisel und ein Spring-
spiel nach den Umrissen einer Figur, die bald Himmel und Hölle, bald
Kirchenfenster, bald Paradies genannt wird.
9. Zusammenkünfte „zum Lichten" sind in dem alten Umfange
überall abgekommen. Das früher auch in Görlitz übliche Choral-