160 Die Zeit vom 2. Pariser Frieden bis zum Regierungsantritt Wilhelms I. § 94
gemeinsames deutsches Parlament. Dabei trat eine liberale Partei (unter
Bassermann) hervor, die durchweg konstitutionelle Einzelstaaten und darüber
ein konstitutionelles Kaisertum wünschte, und eine radikale Partei (unter
Hecker), die eine deutsche Republik erstrebte.
In den meisten Mittel- und Kleinstaaten hatte die Bewegung den
Erfolg, daß die konstitutionellen Forderungen sofort erfüllt, das Wahl-
recht umgestaltet, liberale Führer in die Ministerien gerufen wurden.
In Bayern legte Ludwig I. (vgl. § 86), der München zur ersten Kunst¬
stadt Deutschlands gemacht hatte, bie Regierung zugunsten seines Sohnes
Maximilian II. nieber. Der Bunbestag, ber infolge ber nunmehr
meist liberalen Znsammensetzung ber einzelnen Ministerien jetzt überwiegenb
liberal beschickt werben! war, versprach eine Neugestaltung ber Bunbes-
verfassung unb berief bazu eine Kommission von 17 Männern, gab seine
Zustimmung zur Berufung eines beutschen Parlaments, hob bie Pre߬
zensur auf unb erklärte bie bisher verbotenen Farben schwarz-rot-golb
als Farben des Deutschen Bunbes. Unterbessen aber war es in ben
beiben beutschen Großstaaten zu ernsten Kämpfen gekommen.
Österreich- In Österreich-Ungarn war 1835 auf Franz I. fein geistes-
ungcirn. ^toa(|er Sohn Ferbiitcmb I. gefolgt. Metternichs übergroßer Einfluß
war von ben Erzherzögen burch Einsetzung ber „Staatskonferenz" ein-
geschränkt worben; zu Reformen im Innern aber war es trotzbem nicht
gekommen, obwohl bie einzelnen Nationen ihre Selbstänbigkeit immer
lauter forderten. Durch bie Revolution vom Jahre 1848 würben biefe
Nationen plötzlich von bent Zwange befreit, ber sie bisher verbunben
hatte; inbent sie sich unabhängig zu inachen suchten, schien ber gesamte
Staat dem Untergange geweiht zu sein. Durch Aufstände in Wien wurde
Metternich zur Abdankung genötigt; Bürgerwehr und Studenten übten
die Herrschaft in der Stadt ans und erzwangen die Berufung eines
österreichischen Parlaments. Gleichzeitig begann mit einem Ausstand in
Mailand der Abfall der Lombardei und Venetiens von Österreich, während
die Ungarn ein eigenes Ministerium und eine eigene Verfassung durch¬
setzten. Bald daraus trat in Prag ein Kongreß zusammen, um die
Einigung aller Slawen gegen die Deutschen vorzubereiten.
unter- In dieser allgemeinen Erschütterung erwies sich das Heer als die
Revolution.* einzige zuverlässige Stütze bes kaiserlichen Hauses unb als Bürgschaft für
bie Erhaltung ber Gesamtmonarchie. Zunächst schlug Fürst Winbischgrätz
ben tschechischen Ausstanb in Prag nieber unb eroberte sobann Wien, wo
zahlreiche Hinrichtungen erfolgten. General Fürst Schwarzenberg, ber
bamals an bie Spitze ber Regierung berufen würbe, war ber geeignete
Mann, bas gesamte Staatswesen wieberheinstellen unb ein festes Regiment
burchzuführeu. Balb bar auf (im Dezember 1848) banfte Fetbinanb I.
Franz Joseph zugunsten feines achtzehnjährigen Neffen Franz Joseph ab. Da jeboch
(feit 1848). ^er ungarische Reichstag biesen Thronwechsel nicht anerkannte, rückte ein
kaiserliches Heer in Ungarn ein nnb besetzte Pest, mußte aber später bie
Stabt wieber räumen. Als bie Verfassung Ungarns im März 1849