32 Die neuere Tischlerei.
waren solche Meister auf das Ausland angewiesen, wo sie sich eines guten
Rufes erfreuten.
Am Ende des 18. Jahrhunderts lebte in dem Städtchen Neuwied am
Rhein der Tischlermeister David Röntgen, ein Vorfahr des Entdeckers der
Röntgenstrahlen. Er brachte sein Geschäft zu solcher Blüte, daß er über
100 Hobelbänke besetzte und außerdem noch Schlosser und Mechaniker be¬
schäftigte. Seine kunstvoll gearbeiteten Möbel wurden sehr begehrt und gut
bezahlt. Von Paris aus erhielt Röntgen den Titel eines Königlichen Hof-
mechanikus, und der preußische König Friedrich Wilhelm II. verlieh ihm den
Titel eines Geheimen Kommerzienrats, besuchte ihn sogar einmal mit seinem
Hofstaate, besichtigte seine Fabrik und Möbelausstellnng und nahm bei ihm
ein Frühstück ein.
2. Einen wesentlichen Aufschwung und eine Überleitung in neue Bahnen
verdankt die Tischlerei dem Schreinermeister Friedrich Wirth. Er war i. 1.1806
als der Sohn des Schreiner-Oberzunftmeisters Wirth in Stuttgart geboren,
der es sich zur Richtschnur gemacht hatte, nur gute Arbeit in feinerer Aus¬
führung zu liefern. Sein Sohn zeigte schon als Lehrling, daß er nicht aus
der Art geschlagen war; denn geschickt und voll Ehrgeiz führte er die ihm
übertragenen Arbeiten aus, und alles, was er aus eigenem Antriebe fertigte,
zeugte von selbständigem Nachdenken und künstlerischem Sinn. Als Nach¬
folger feines früh verstorbenen Vaters gab Friedrich Wirth dem übernommenen
Schreinergeschäft bald eine größere Ausdehnung. Er richtete ein Musterlager
von Möbeln ein und schuf dadurch eine der in jener Zeit so spärlichen Ge¬
legenheiten, zu sehen, was eigentlich feine und genaue Schreinerarbeit sei.
Die verknöcherten Zuuftgenosfen sahen hierin freilich eine umstürzlerische
Neuerung. Die Drechslerzunft verklagte ihn wegen Pfuscherei, weil er an
seinen Schreinerarbeiten Teile anbrachte, die nach altem Recht nur ein ge¬
lernter Drechsler ausführen durfte (f. Nr. 142). Trotzdem erwarb sich Wirth
einen guten Ruf und eine weitverzweigte Kundschaft, und sein Landesherr
verlieh ihm den Titel eines „Hofebenisten".
Der industrielle Zug, der iu den vierziger Jahren des neunzehnten
Jahrhunderts auch in die Gewerbe eindrang, wurde von Friedrich Wirth recht-
zeitig in der Bedeutung erkannt, die er auch für die Schreinerei hatte. So
verhielt sich denn Wirth gegen die Benutzung einer Säge- und Hobelmaschine
nicht mißtrauisch und feindselig, wie die meisten seiner Berufsgenosseu, sondern
verwertete diese Neuerung zu seinem Vorteile. Schon auf der Leipziger In¬
dustrie-Ausstellung vom Jahre 1850 erhielt er für die Möbel, bei denen er die
Maschine zu Hilfe genommen hatte, die silberne Medaille. Ein Jahr später
gab ihm die erste Weltausstellung in London (f. Nr. 44) die Anregung,
einen vollständigen Maschinenbetrieb einzuführen, was damals in Stuttgart
ein Aufsehen erregendes Ereignis war. Dieser Fabrikbetrieb diente vorzugsweise
der Herstellung von Parkettböden. Mittels der Maschine konnten die sauber
aneinandergepaßten, oft verschiedenfarbig zu Feldern und Sternfiguren zu¬
sammengesetzten Platten von Eichen- und Tannenholz so billig hergestellt werden,
daß sie sich zur allgemeineren Anwendung bei besseren Bauten empfahlen.
Das spiegelglatte Parkett wurde jetzt auch in feineren bürgerlichen Wohnungen
Mode und rief das Verlangen hervor, auf so vornehmen Fußböden auch
gediegenere und gewähltere Möbel und Geräte aufzustellen. Auf diese Weise
verfeinerte sich der Geschmack für Zimmereinrichtungen, für deren Herstellung
Wirth ein besonderes Fabrikgebäude errichtete.