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Wie aber nun die im westphälischen Frieden mit so vieler
Mühe ncugeschaffcne Verfassung, unter manchen schweren Stür¬
men, noch über anderthalb Jahrhundert bestanden, bis die end¬
liche Austdsung des heiligen römischen Reichs durch Napoleon
erfolgte, das wird die zweite Abtheilung der Gallerie (vom west-
phalischen Frieden bis auf unsere Tage) beschreiben.
Aus dem ieben der Königin Christine
von Schweden.
Christine, die einzige Tochter des großen Königs Gustav
Adolph, wurde, kaum sechs Jahre alt, unter einer Reichsvor-
mundschaft, auf ihres Vaters Thron gesetzt.
Bei dieser Feierlichkeit trat einer aus dem Bauernstände
vor, wendete sich gegen den Reichsmarschall und die versammel¬
ten Stande des Reichs und fragte: „Wo ist sie denn? Wie
sieht sie aus, diese Tochter Gustavs? Wir kennen sie nicht.
Man zeige sie uns doch!" Der Landmarschall trug die kleine
Prinzessin herbei und hob sie in die Höhe. Der Bauer betrach¬
tete sic aufmerksam und rief endlich aus: „Ja, ja! sie ist's.
Dies ist die Nase und die Stirn Gustav Adolphs; sie ist seine
Tochter. Sie soll unsere Königin scyn."
Ihre Fähigkeiten entwickelten sich sehr früh. Aus den
ungemeinen Fortschritten, die sie schon als Kind machte, aus
ihrer unbezähmbaren Wildheit und ihrer mit nichts zu stillenden
Wißbegierde sah man bald, daß sie ein eben so außerordentliches
Weib werden würde, wie ihr Vater ein ungewöhnlicher Mann
gewesen war. Mit dem Letzteren hatte sie die Kühnheit und die
brennende Ruhmbegierde gemein; überhaupt hatte ihr ganzes Wesen
mehr Männliches, als Weibliches. Sie saß zu Pferde und jagte
wie eine Amazone, verachtete Weiberputz, trug gern Manns¬
kleider und war am liebsten in männlicher Gesellschaft. „Ich