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lang und 13 m breit. Er ist jener „Altar von unbehauenem Gestein"
(2. Mos. 20, 25), auf dem der Sage nach Abraham seinen Sohn Isaak
opfern wollte, und auf dem später die Israeliten über 1000 Jahre lang,
von der Zeit Davids bis zur Zerstörung Jerusalems durch Titus, ihre
Brandopfer dargebracht haben. Noch heute find Spuren seiner ehemaligen
Bestimmung vorhanden, nämlich eine eingehauene Rinne, die wahrschein-
lich dem Abfluß des Opferbluts diente, und ein Loch von der Größe eines
Menschenkopfes, welches das abfließende Blut auffing und durch einen
Kanal zum Kidron leitete. — Von der Südostecke des Tempelplatzes aus
hat man einen einzigartigen Blick. Tief unten liegt das Kidrontal. Tal-
aufwärts ist es schluchtenartig eng, von Grabsteinen wie von Kieseln besät,
südwärts, wo das Hinnomtal einbiegt, erweitert es sich zu eiuer anmutig
grünen Aue. Von Norden her schaut wie ein treuer Wächter der Ölberg
herüber. Ehe wir uns zum Gehen wenden, werfen wir noch einen Blick
auf das Goldene Tor in der Ostmauer des Tempelplatzes, das vom
Tempelplatz zum Kidrontal hinab- und zum Ölberg hinüberführt. Die
Araber vermauerten vor 1100 Jahren den schönen, reichverzierten Bau
bis auf eine kleine Pforte. Durch sie zog zur Zeit der Kreuzfahrer am
Palmsonntag die große Palmenprozession vom Ölberg her ans den Tempel-
platz. Der Patriarch, der oberste Geistliche der Stadt, ritt auf einem
Esel, das Volk breitete seine Kleider auf den Weg, ganz wie zu den
Zeiten des Herrn. Aber später vermauerten die Türken auch diese Pforte,
und das Tor blieb bis zum heutigen Tage geschlossen; denn unter den
Türken geht die Sage, daß durch dieses Tor einst ein christlicher König
einziehen werde, der Jerusalem in Besitz nehmen und der ganzen Erde
Herr sein soll. Nicht iveit vom Felsendom liegt die berühmte „Klage-
mauer der Inden", ein Rest der Stadtmauer, die einst das alte
Jerusalem umzog. Sie erhebt sich bis zu einer Höhe von 18 m und
birgt in sich eine Menge uralter Steine, von denen manche vier Meter
der Länge nach messen. Ohne Zweifel stammen diese Quader aus der
altisraelitischen Glanzzeit. Was könnten sie aus der Geschichte Jerusalems
erzählen! Au dieser Mauer, deren Steine vielleicht David oder Salomo
aufrichten ließ, pflegen sich die Juden Jerusalems an jedem Freitag Nach-
mittag zu versammeln, um über den Verlust Jerusalems zu klagen. Es
ist ein ergreifendes Bild, wenn man die armen Sohne Israels vor dieser
Mauer lehnen sieht und bemerkt, wie die einen die Steine mit den
Händen fassen und küssen, die andern in ihrem abgegriffenen Gebetbuch
lesen. Wie haben sich doch die Zeiten geändert! Einst zogen die Juden
unter Posaunenschall und Paukenschlag, unter Festgesängen und Jubel-
Psalmen an dieser Mauer frohlockend vorüber hinauf zum kostbaren Tempel,
jetzt stehen sie wehklagend an der letzten Ruine ihrer Herrlichkeit und
klagen: „Wegen des Palastes, der wüst liegt, wegen des Palastes, der
zerstört ist, wegen der Mauern, die zerriffen sind, wegen der Majestät,
die dahin ist, wegen unserer großen Männer, die daniederliegen, wegen
der kostbaren Steine, die verbrannt sind, wegen der Priester, die ge-
Tisch endorf, Außereuropäische Erdteile. 19. Aufl. Ig