150 69. Karl der Große als Landesvater.
69. Karl der Große als Landesvater.
1. Reichsverwaltung. Karl war groß als Kriegsheld, aber größer
noch als Gesetzgeber und Vater seines Volks. Das ganze Reich
teilte er in Gaue, denen Gaugrasen vorstanden. Längs der Grenze
errichtete er zum Schutze gegen feindliche Nachbarn die Marken, über
welche Markgrafen gesetzt waren und deren Bewohner stets kriegsbereit
sein mußten. Solche Marken waren z. B. die spanische Mark, die Ostmark
zwischen Enns und Raab, die thüringische Mark, die sächsische Mark an
der Mittelelbe (nachher Altmark). Damit keiner der hohen Beamten
seine Macht mißbrauche, ließ er alle Vierteljahre das Land von Send-
grasen bereisen, welche etwaige Klagen entgegennahmen und auf dem
Reichstage dem Kaiser Bericht erstatteten. Zum Reichstage, dem soge¬
nannten Maiselde, wurden alljährlich alle weltlichen und geistlichen Großen
des Reichs entboten. Die hier gefaßten Beschlüsse bedurften der Be¬
stätigung des Kaisers. Karl untersiegelte mit seinem Schwertgriff, dem
ein Petschaft eingegraben war — ein bedeutungsvolles Zeichen!
2. Pflege der Kirche. Das Christentum war Karl dem Großen
wahre Herzenssache. Trotz aller Geschäfte ging er täglich zweimal zur
Kirche; oft besuchte er auch die nächtlichen Betstuuden im Gotteshause.
Seine Wohlthätigkeit beschränkte er nicht auf feine Unterthanen, sondern
fandte auch zur Unterstützung dürftiger Christen reiche Gaben übers
Meer. Er baute viele Kirchen und Klöster; die Lieb frau enkir che in
Aachen wurde das schönste Gebäude irt seinem Reiche. Auch ließ er Orgeln
aus Italien kommen und durch italienische Gesanglehrer Singschulen an¬
legen. Aber die rauhen Kehlen der Franken gewöhnten sich nur schwer
an den kirchlichen Gesang, und jene Lehrer verglichen ihr Singen mit
dem Geheul wilder Tiere oder dem Rumpeln eines Lastwagens, der über
einen Knüppeldamm fährt.
3. Pflege der Schule und Wissenschaft. Mit besonderer Sorgfalt
pflegte Karl die Schule und die Wissenschaft. Seine rechte Hand
dabei war Alkuin, ein angelsächsischer Mönch, den Karl zum Abt von
Tours 1 machte. Dieser ausgezeichnete Mann verdiente die Freundschaft
und Hochachtung, durch welche Karl ihn ehrte; er hatte auch den Mut,
dem Könige die Wahrheit zu sagen, wenn kein anderer es wagte. Die
von Alkuin in Tours gegründete Schule war die Musterschule sür das
ganze Reich. Auch an seinem Hose errichtete Karl eine Schule für die
Kinder seiner Hofbeamten. Oft hörte er hier selbst dem Unterrichte zu
und besah die Arbeiten der Kinder. Einst stellte er alle trägen und un¬
wissenden Schüler zu seiner Stuken, die fleißigen und geschickten aber zu
seiner Rechten. Da sand es sich, daß gerade die vornehmen Knaben links, die
geringen aber rechts standen. Liebreichen Tones sprach er nun zu den
armen, aber fleißigen Schülern: „Ich freue mich, meine Kinder, daß ihr
gut einschlagt; bleibt dabei, und werdet immer vollkommener; zu seiner
Zeit soll euch mein Lohn nicht fehlen. Ihr aber", wandte er sich zürnenden
1 Tours (spr. Tuhr), Stadt an der Loire.