Object: Deutsche Geschichte von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (Teil 1)

Karl der Große. 
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Auf dem Gebiete der Wissenschaft begegnet uns ein Wieder¬ 
aufleben des klassischen Altertums. Das Lateinische war nicht 
nur die Sprache der Kirche und des amtlichen Verkehrs, sondern auch der 
Gelehrten, Geschichtschreiber und meisten Dichter. Ein vortreffliches Lebens¬ 
bild des Kaisers entwarf der Mainfranke Einhard, der jahrelang in 
seiner Umgebung weilte. 
Tie Kunst richtete sich nach römischen und byzantinischen Mustern. 
Herrliche Paläste mit prächtigen Säulen und Wandmalereien ließ Karl 
in Nymwegen, Ingelheim (bei Bingen) und Aachen errichten. Die Aachener 
Pfalz verband er durch eine Säulenhalle mit der Marienkirche (Aachener 
Münster), einem achteckigen Kuppelbau, zu welchem antike Bauten in Ra¬ 
venna und Rom kostbare Säulen lieferten. 
D. Tie Persönlichkeit Karls des Großen und sein Ende. Karl war 
von hohem, starkem Wuchs, sein Haupt schön gerundet, der Ausdruck 
des Antlitzes freudig und heiter; ein kräftiger Schnurrbart umschattete die 
Oberlippe. Im Reiten, Jagen und Schwimmen wurde er von keinem 
übertroffen. ■— Sein Anzug war der volksmäßige, d. h. der fränkische. 
Auf dem Leibe trug er ein Hemd von Linnen, darüber ein Wams und 
Beinkleider, die er mit Binden umwand. Stets führte er ein Schwert an 
seiner Seite. Bei Festen schmückten ihn golddurchwirkte Kleider, ein durch 
eine goldene Spange zusammengehaltener Mantel und ein Diadem aus 
Gold und Edelsteinen. — In Speise und Trank war er mäßig. Während 
der Mahlzeit ließ er sich aus Geschichtsbüchern oder aus religiösen Werken 
vorlesen. Er schlief nur wenig; die Nachtruhe unterbrach er oft durch 
geistige Tätigkeit. — Seine Gedanken wußte er klar und gewandt aus¬ 
zudrücken. Das Lateinische war ihm ebenso geläufig wie feine 
Muttersprache; das Griechische verstand er besser, als er es sprach. 
Noch im hohen Alter versuchte er, doch ohne rechten Erfolg, das 
Schreiben zu erlernen. — Seinen frommen Sinn betätigte der 
Kaiser durch den Bau und die Ausschmückung zahlreicher Kirchen, 
häufigen Befuch des Gottesdienstes und warme Unterstützung notleidender 
Christen. 
Als Karl sein Ende herannahen fühlte, ließ er seinem Sohne Ludwig 
auf einem Reichstage zu Aachen als König der Franken huldigen. Wenige 
Monate nachher, am 28. Januar 814, starb der Kaiser. Sein 
Leichnam wurde in der Marienkirche zu Aachen beigesetzt. 
Karl ist nicht nur der bedeutendste unter den Fürsten des Mittelalters, 
sondern auch einer der größten Herrscher aller Zeiten. Von den deutschen Kaisern 
haben namentlich Otto der Große und Friedrich Rotbart sich ihn zum 
Vorbilde genommen. Das Volk bewahrte die Erinnerung an den geliebten
	        
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