Karl der Große.
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Auf dem Gebiete der Wissenschaft begegnet uns ein Wieder¬
aufleben des klassischen Altertums. Das Lateinische war nicht
nur die Sprache der Kirche und des amtlichen Verkehrs, sondern auch der
Gelehrten, Geschichtschreiber und meisten Dichter. Ein vortreffliches Lebens¬
bild des Kaisers entwarf der Mainfranke Einhard, der jahrelang in
seiner Umgebung weilte.
Tie Kunst richtete sich nach römischen und byzantinischen Mustern.
Herrliche Paläste mit prächtigen Säulen und Wandmalereien ließ Karl
in Nymwegen, Ingelheim (bei Bingen) und Aachen errichten. Die Aachener
Pfalz verband er durch eine Säulenhalle mit der Marienkirche (Aachener
Münster), einem achteckigen Kuppelbau, zu welchem antike Bauten in Ra¬
venna und Rom kostbare Säulen lieferten.
D. Tie Persönlichkeit Karls des Großen und sein Ende. Karl war
von hohem, starkem Wuchs, sein Haupt schön gerundet, der Ausdruck
des Antlitzes freudig und heiter; ein kräftiger Schnurrbart umschattete die
Oberlippe. Im Reiten, Jagen und Schwimmen wurde er von keinem
übertroffen. ■— Sein Anzug war der volksmäßige, d. h. der fränkische.
Auf dem Leibe trug er ein Hemd von Linnen, darüber ein Wams und
Beinkleider, die er mit Binden umwand. Stets führte er ein Schwert an
seiner Seite. Bei Festen schmückten ihn golddurchwirkte Kleider, ein durch
eine goldene Spange zusammengehaltener Mantel und ein Diadem aus
Gold und Edelsteinen. — In Speise und Trank war er mäßig. Während
der Mahlzeit ließ er sich aus Geschichtsbüchern oder aus religiösen Werken
vorlesen. Er schlief nur wenig; die Nachtruhe unterbrach er oft durch
geistige Tätigkeit. — Seine Gedanken wußte er klar und gewandt aus¬
zudrücken. Das Lateinische war ihm ebenso geläufig wie feine
Muttersprache; das Griechische verstand er besser, als er es sprach.
Noch im hohen Alter versuchte er, doch ohne rechten Erfolg, das
Schreiben zu erlernen. — Seinen frommen Sinn betätigte der
Kaiser durch den Bau und die Ausschmückung zahlreicher Kirchen,
häufigen Befuch des Gottesdienstes und warme Unterstützung notleidender
Christen.
Als Karl sein Ende herannahen fühlte, ließ er seinem Sohne Ludwig
auf einem Reichstage zu Aachen als König der Franken huldigen. Wenige
Monate nachher, am 28. Januar 814, starb der Kaiser. Sein
Leichnam wurde in der Marienkirche zu Aachen beigesetzt.
Karl ist nicht nur der bedeutendste unter den Fürsten des Mittelalters,
sondern auch einer der größten Herrscher aller Zeiten. Von den deutschen Kaisern
haben namentlich Otto der Große und Friedrich Rotbart sich ihn zum
Vorbilde genommen. Das Volk bewahrte die Erinnerung an den geliebten