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Krieger. Unterdessen waren die Russen, an Zahl der großen Armee bei weitem
nicht gewachsen, tiefer und tiefer in ihr ödes, unermeßliches Reich zurückgegangen;
sie wichen beständig einer Schlacht aus, um den sicheren Feind immer tiefer
in das Innere zu locken und ihn dann zu verderben. Die feste Ordnung des
französischen Heeres begann sich zu lösen; die strenge Mannszucht lockerte sich;
schon die Ausplünderung der preußischen Laude hatte die Truppen an das
Raubeu gewöhnt; der größte Teil der mitgeführten ungeheuren Vorräte ging
schon auf dem Hinwege zu Grunde. Während das russische Heer immer tiefer
in das öde Innere des weiten Reiches zurückwich, begannen die russischen
Bauern auf eigene Faust den Krieg; sie flüchteten ihre Herden und Vorräte
in die Wälder, gaben dem Feinde die wertlosen, leeren Holzhütten preis, und
wo ein Versprengter in ihre Hände siel, schlugen sie ihn nieder wie einen
tollen Hund. Das strenggläubige Volk betrachtete die Eindringlinge als Heiden,
deren Vernichtung als ein Gott wohlgefälliges Werk. Bei Smolensk, fchon
tief im inneren Rußland, kam es zuerst zum blutigen Kampfe; aber nachdem
man einen ganzen Tag ohne Entscheidung gefochten, verließen die Russen in
der Nacht die in Brand geratene Stadt und setzten ihren Marsch nach Moskau
fort. Der Sieger fand am andern Morgen eine mit Blut getränkte und mit
Leichen bedeckte Brandstätte.
In Smolensk wurde Kriegsrat gehalten; aber so viele Stimmen sich auch
gegen die Fortsetzung des Zuges erklärten, Napoleon bestand aus der Eroberung
von Moskau, wo er zu überwintern und Alexander zum Frieden zu zwiugeu
gedachte. Weiter und weiter ging daher der Zug des Eroberers >in das
menschenleere Land hinein; mit jedem neuen Tage lichteten sich die Reihen
seines Heeres. Überall flohen die Einwohner vor dem anrückenden Feinde,
nachdem sie zuvor ihre Wohnungen und Dörfer in Brand gesteckt und ringsum
alles verwüstet hatten. Der russische Anführer Kutusoff beschloß, die in den
Augen der Russen heilige Stadt Moskau nicht in die Hände der Franzosen
satten zu lassen. Darum machte er Halt und führte dadurch die furchtbare
Schlacht bei Borodino an der Moskwa herbei. In derselben behaupteten
zwar die Franzosen den Sieg, mußten aber doch die Russen in Ordnung ab¬
ziehen lassen. Es war der blutigste Sieg, den Napoleon jemals erfochten.
Über 70000 Tote und Verwundete deckten das Schlachtfeld; zehn französische
und ebenso viel russische Generale waren gefallen; die Verwundeten wurden
fast sämtlich das Opfer der Kälte, des Hungers oder der Verblutung. Der Held des
Tages war Ney, den Napoleon zum „Fürstenvon der Moskwa" erhob. Die
Folge dieses Sieges war Napoleons Einzug in Moskau am 14. September
1812. Jetzt glaubte er sich des Sieges und eines vorteilhaften Friedens gewiß.
4. Der Brand von Moskau. Mit stolzem Triumph zog Napo¬
leon in die mit zahllosen Türmen und vergoldeten Kuppelu geschmückte alte