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Die deutschen Landschaften.
die Sonne die ersten Lichtstrahlen ins Fenster hineinwirft, beginnt die Arbeit,
und oft. wird diese his spät in die Nacht hinein fortgesetzt, um den geringen
Verdienst, der selten täglich 1 Mark erreicht, etwas zu erhöhen. Fast in jedem
Orte hat sich das Klöppeln einer bestimmten S pi t z en art herausgebildet.
So herrscht in Annaberg die Herstellung von K ire h en spitz en, iu Crotten¬
dorf die von Bettspitzen, in Schwarzenberg, Ober - und Unterwiesen¬
thal die von seidenen Spitzen vor.
Die Entwicklung einiger der früher genannten Erwerbszweige,
wie der Spiel warenverfertigung und der Kunsttischle¬
rei, wurde dadurch gefördert, dass ein zur Verarbeitung passen¬
des Holz in grosser Menge vorhanden und daher zu billigem Preise
zu haben war. Zur Ausnutzung der bedeutenden Holzschätze des
Landes sind ferner zahlreiche Züiidliölzchenfabriken, sowie Fa¬
briken zur Gewinnung des Holzfaserstoff'es, der zur
Papierverfertigung gebraucht wird, in Betrieb gesetzt worden.
Aus der Darstellung der Er wer bsve r h ä 11 n is s e im ob ern
Erzgebirge ersehen wir, dass die Bevölkerung dieses Ge¬
bietes einen harten Kampf um das tägliche Brot zu führen
hat. Trotz aller Mühe und Arbeit vermögen die Bewohner dem
Boden nicht das fzum Leben Nötige abzuringen ; denn das kalte
Klima hindert eine üppige Entfaltung der Gewächse. In den schlim¬
men Zeiten, die nach dem Zurückgange des Silberbergbaues an¬
brachen, hat aber der Bewohner des obern Erzgebirges, der von
einer grossen Liebe zur heimatlichen Scholle beseelt ist,
mutig ausgehalten. Zu den verschiedensten Zweigen hausge¬
werblicher Thätigkeit hat er gegriffen, um für sich und seine
Familie den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Bevölkerung
des Gebietes, das schon vor Jahrhunderten verhältnismässig stark
besiedelt wTurde, hat sich noch fortwährend vermehrt. Selbst
in sehr hoch gelegenen Bezirken, wie in den von Eiben¬
stock und Oberwiesenthal, zählt man noch über 150 E.
auf 1 qkm. Kein Gebirge Europas ist in gleicher Höhe so dicht
bewohnt. Die notwendige Folge der starken Bevölkerungs¬
zunahme war, dass der Lebenserwerb des Einzelnen immer
schwieriger wurde, dass die Not und das Elend sich bei Miss¬
ernten oder beim Stocken irgend eines Erwerbszweiges noch viel
mehr fühlbar machten. Die Wohnungs- und Ernährungs¬
verhältnisse sind im allgemeinen recht traurige. Tn vielen
Fällen müssen mehrere Familien einen einzigen Wohnraum teilen.
Eine jede hat dann den Raum vor einem Fenster inne. An diesem
steht der Tisch, an dem die Familienmitglieder ihre gewerbliche
Thätigkeit ausüben. Da sitzen in emsiger Arbeit Vater und Mutter
und die Kinder, die schon mithelfen können, das tägliche Brot zu
verdienen. Durch dieses dichte Zusammenwohnen wird nicht bloss
an der Miete, sondern auch an der Heizung gespart. Es kostet ja
auch meistens die Ernährung der Familie so viel, dass für andere
Ausgaben vom Wochen Verdienste gewöhnlich sehr wenig übrig
bleibt. Für die meisten Bewohner bilden Kartoffeln fast die stän¬
dige Nahrung, und deren verschiedene Zubereitung ist die einzige