Full text: Die deutschen Landschaften (1)

werden, und nur beileibe nicht auf das Seitenbrett treten, wo jetzt das 
schnurrende Tonnenseil heraufgeht, und wo vor 14 Tagen ein unvorsichtiger 
Mensch hinuntergestürzt und leider den Hals gebrochen. Da unten ist ein 
verworrenes Rauschen und Summen, man stoßt beständig an Balken und 
Seile, die in Bewegung sind, um die Tonnen mit geklopften Erzen oder 
das hervorgesinterte Wasser heraus zuwinden. Zuweilen gelangt man auch 
in dnrchgehauene Gänge, Stollen genannt, wo man das Erz wachsen sieht, 
und wo der einsame Bergmann den ganzen Tag sitzt und mühsam mit dem 
Hammer die Erzstücke ans der Wand herausklopft. Bis in die unterste 
Tiefe bin ich nicht gekommen; unter uns gesagt, dort, bis wohin ich kam, 
schien es mir bereits tief genug: — immerwährendes Brausen und Sausen, 
unheimliche Maschinenbewegnng, unterirdisches Quellengeriesel, von allen. 
Seiten herabtriesendes Wasser, qualmig aufsteigende Erddünste und das 
Grnbenlicht immer bleicher hineinflimmernd in die einsame Nacht. Wirklich 
es war betäubend, das Atmen wurde mir schwer, und mit Mühe hielt ich 
mich an den glitscherigen Leitersprossen. Ich habe keinen Anflug von so¬ 
genannter Angst empfunden, aber, seltsam genug, dort unten in der Tiefe 
erinnerte ich mich, daß ich im vorigen Jahre ungefähr um dieselbe Zeit 
einen Sturm ans der Nordsee erlebte, und ich meinte jetzt, es sei doch 
eigentlich recht traulich angenehm, wenn das Schiff hin und her schaukelt, 
die Winde ihre Trompetenstückchen losblasen, zwischendrein der lustige 
Matrosenlärm erschallt, und alles frisch überschauert wird von Gottes 
lieber, freier Luft. Ja, Luft! — Nach Luft schnappend stieg ich einige 
Dutzend Leitern wieder in die Höhe, und mein Steiger führte mich durch 
einen schmalen, sehr langen, in den Berg gehauenen Gang nach der Grube 
Dorothea. Hier ist es luftiger und frischer, und die Leitern sind reiner, 
aber auch länger und steiler als in der Karolina. Hier wurde mir auch 
besser zumute, besonders da ich wieder Spuren lebendiger Menschen ge¬ 
wahrte. In der Tiefe zeigten sich nämlich wandelnde Schimmer; Bergleute 
mit ihren Grubenlichtern kamen allmählich in die Höhe mit dem Gruße 
„Gliickauf!" und mit demselben Widergrnße von unserer Seite stiegen sie an 
uns vorüber; und wie eine befreundet ruhige und doch zugleich quälend rätsel¬ 
hafte Erinnerung trafen mich mit ihren tiefsinnig klaren Blicken die ernst¬ 
frommen, etwas blassen und vom Grnbenlicht geheimnisvoll beleuchteten Ge¬ 
sichter dieser jungen und alten Männer, die in ihren dunkeln, einsamen Berg¬ 
schachten den ganzen Tag gearbeitet hatten, und sich jetzt hinanfsehnten 
nach dem lieben Tageslicht und nach den Angen von Weib und Kind. 
Die meisten Bergarbeiter wohnen im Klausthal und in dem damit 
verbundenen Bergstädtchen Zellerfeld. Ich besuchte inehrere dieser wackern 
Leute, betrachtete ihre kleine häusliche Einrichtung, hörte einige ihrer Lieder, 
die sie mit der Zither, ihrem Lieblingsinstrumente, gar hübsch begleiten, ließ 
mir alle Bergmärchen- von ihnen erzählen und auch die Gebete hersagen, die 
sie in Gemeinschaft zu halten pflegen, ehe sie in den dunkeln Schacht Hin- 
Po rger-Lemp, Lesebuch. Anhang für Hannover. Klasse 5. 2
	        
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