fullscreen: 100 Geschichtsbilder aus Erfurt und Thüringen

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brauchen begangen wurde. Den größten Fremdenftrom führte jedoch 
die große Fronleichnamsprozession herbei, eine Schöpfung der Jesu¬ 
iten. Hinter dem feierlichen Zuge erschienen, teils auf breiten, 
teppichbedeckten Wagen, teils auf Brettern oder auf den Schultern 
getragen, bildliche Darstellungen aus der Heiligen Schrift. Sie 
wurden von lebenden Personen dargestellt und dienten nur zur 
Befriedigung der Schaulust der Umstehenden. Da sah man den 
Propheten Jonas im Rachen des Walfisches, David mit der 
Schleuder und den Riesen Goliath, Josua und Kaleb mit der 
großen Weintraube u. a. m. 
Das Stadtinnere: Die Stadt selbst machte äußerlich einen 
recht stattlichen Eindruck. Mit ihren zahllosen Türmen und Kirchen, 
überragt vom Dom und den beiden Stiftskirchen, bot sie dem 
Wanderer ein herrliches Bild, dem aber das Innere in keiner 
Weise entsprach. Durch die finsteren, gewundenen Tore gelangte 
man in die Stadt, falls es nicht Nacht ober am Sonntag zur 
Kirchzeit war. Zu biefen Stunben waren bie Tore geschlossen 
unb würben nur gegen eine Vergütung geöffnet. Am Tore be- 
sanb sich bie Zoll- unb bie Akzisewache (Akzise = Verbrauchs¬ 
steuer), bei ber alle eingehenbe Hanbelsware versteuert werben 
mußte. Hatte man bie Vorstabt burchschritten, so stanb man vor 
einem zweiten Mauerring; benn bie älteste, von ber Gera um¬ 
flossene Befestigung war noch zum größten Teil vorhanben. Von 
ihren Toren stanben bas alte Wasser-, Löber-, Johannes- unb 
Augusttor (s. Nr. 21). Der mächtige Steinunterbau ber Tore war 
mit bürstigen Holzhäuschen besetzt, bie man an arme Leute ver¬ 
mietet hatte. Durch bxcfc Tore betrat man bie eigentliche Stabt. 
Ihre Straßen waren verhältnismäßig breit. Aber bas Gras wuchs 
zwischen ben Steinen, ba ber Verkehr fehlte. Pflaster unb Rein¬ 
lichkeit ließen viel zu wünschen übrig. Ersteres war so schlecht, 
baß sich an vielen Orten tiefe Löcher befanben, in benen Menschen 
unb Vieh samt bem Fuhrwerk leicht verunglücken konnten. Durch 
bie meisten ber Straßen war fließenbes Wasser geleitet. Diese 
künstliche Bewässerung galt als eine besonbere Merkwürbigkeit 
Erfurts unb biente, außer zur Bewässerung ber Gärten, ber Rein¬ 
lichkeit ber Stabt unb ber Gefunbheit ber Luft; ferner würbe es 
in ben Brauereien gebraucht, biente zum Antrieb ber vielen Müh¬ 
len unb ganz befonbers zur Unterstützung ber Rettungsanstalten 
beim Feuer. Eine Straßenbeleuchtung, wie sie bie größeren deut¬ 
schen Stäbte um 1800 bereits besaßen, fehlte noch. Wer abenbs 
ausgehen wollte, mußte sich eine Laterne mitnehmen. Auch Straßen¬ 
schilber unb Hausnummern waren nicht vorhanben. Jebes ber 
3154 Häuser hatte noch bie aus bem Mittelalter stammenbe Be¬ 
nennung, unter ber es allgemein bekannt war. Die Bautätigkeit 
war gering. Die vorhandenen prächtigen Bauten stammten aus 
älterer Zeit. Wohl aber zählte man in der Stadt über 400 wüste 
Brandstätten. Nicht weniger als 15 Kirchen standen teils unge-
	        
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