Full text: Charakterbilder aus der Geschichte der christlichen Reiche (Band 2)

Neuer Hader. Blüte der Städte. 
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ber Liebe unb ber Religion herbeigeführt, ließen boch bas Feuer ber Zwietracht unter ber 
Asche fortglimmen. Es brach toieber aus, sobalb bie innere Wärme erkaltet war. Ja nicht 
selten war im Augenblicke, wo man sich Frieben gelobte, ein stolzer Blick, ein unbewachtes 
Wort, eine falsch verstanbene Gebärbe bas Signal, baß man wieder zum Schwert griff. Es ist 
unsäglich, welche Quelle von Leib baraus entsprang. Die unablässig toieber auflebenden 
Kämpfe schwächten bie Erinnerung an bie Pflichten, welche Obrigkeiten unb Bürger einanber 
fchusben, bie nie ruhende Eifersucht, ber stets klaffenbe Zwiespalt verhinderten bie Erstarkung 
bes nationalen Sinnes, in bent allein eine ruhmreiche Zukunft wurzeln sann. Das Vater¬ 
land beraubte sich seiner edelsten Kräfte, bie es als Welfen ober als Ghibellinen ausstieß. 
Man bachte nicht bar an, eine gute Staatsverfassung und Regierung za schaffen, sondern nur 
an den Sieg einer Partei. Hatten indes diese Kämpfe auch bie traurigsten Folgen, so bars 
man boch nicht vergessen, baß sie von Pausen bes Friebens unterbrochen waren unb oft nur 
wenige Tage ober gar nur einen Tag währten. Erscholl bie große Glocke, bann griff jeber 
Mann zu ben Waffen, reihte sich unter bas Banner feines Kirchspiels unb zog zum Kampfe 
aus; siegte er, so kehrte er noch am Abenb ober boch am folgenden Tage mit ben erfochtenen 
ober geraubten Trophäen heim, und war er verwundet, so fand er im eigenen Hause die 
nötige Pflege. 
Trotz des häufigen Parteihaders entfalteten die italienischen Freistaaten eine verhältnis¬ 
mäßig rasche Blüte. Während der auf den Konstanzer Frieden folgenden Epoche ließen alle 
Republiken die Errichtung von Bauwerken zur Bequemlichkeit der Bürger, zum Schutze und 
zur Zierde der Städte sich angelegen sein, stellten ihre Mauern wieder her, regelten und 
pflasterten ihre Straßen und schufen zur Erleichterung des Verkehrs Landstraßen, Brücken 
und Kanäle; sie bauten Wasserleitungen und riefen bie an Pracht unb Dauerhaftigkeit mit- 
einanber wetteifernben Rathäuser unb Kathebralen ins Leben. Im Jahre 1157 gaben bie 
Mailänber für Neubauten 50.000 Mark Silber (über 16 Millionen Mark) aus. Der große 
schiffbare Kanal, welcher zur Befruchtung ber Ebenen westlich ber Stabt bas Wasser bes 
Ticino 30 Miglien weit herführte, würbe im Jahre 1157 vollenbet; es ist bies bas erste 
Beispiel im Großen von künstlichen Kanälen, beffen bie Geschichte gebenkt. Zwischen 1276 
unb 1283 vollendete Genua feine beiben ansehnlichen Hafenbecken unb bie mächtige Mauer 
bes Molo, 1295 bie prächtige Wasserleitung, welche ber Stabt reichliches unb gesunbes Wasser 
zuführt. Hauptsächlich schmückten sich bie Städte mit Gotteshäusern, in denen frommer 
Eifer, gepaart mit patriotischem Sinne, das edelste und würdigste Wahrzeichen der Vaterstadt 
zu erblicken liebte. 
Wohl kaum hätte sich bamals ein Laub an Blüte unb Wohlstanb mit Italien messen 
können, wenn es bie an eigenen unb importierten Probuften unb Manufakturen so reiche 
Halbinsel verstauben hätte, ihre herrliche Lage zwischen zwei Meeren zum Verkehr mit ber 
ganzen alten Welt zu benützen. Nicht bloß bie Seestäbte schickten ihre Kaufleute in ben 
ganzen Westen, verbreiteten Gewerbfleiß, Kultur unb Kunst unb erwarben gewinnbringenbe 
Monopole. Das Gebiet von Asti mit einer Bevölkerung von 470 000 schickte Hanbelsleute 
nach Frankreich unb ben Nieberlanben unb hatte eine Kolonie zu Alexanbria. Als ber König 
von Frankreich alle Wechsler, bie bamals allgemein „Lombarbeu" hießen, verhaften ließ, 
waren bar unter viele Tauseube aus Asti, bereu geliehene Kapitalien über 22 Millionen Mark 
betrugen. Die langwierigen Kriege, welche Florenz führte, hätten seinen Ruin vollkommen 
herbeiführen müssen ohne bie Hilfe feiner Kaufherren, bie großen Besitz in ben Lagerhäusern 
von Antwerpen unb Venebig, auf ben Märkten von Paris unb Lonbon, reich befrachtete 
schiffe im Mittel- unb Weltmeere hatten und ihre Reichtümer willig zum Schutze der Freiheit
	        
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