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stießen denselben um und machten sich mit Lachen davon. Der
kleine Oberlin, später Pfarrer im Steinthal, sah diesen Streich der
losen Knaben mit an. Ungesäumt lief er nach Hause, holte seine
wohlgefüllte Sparbüchse, kehrte alsbald zurück und schüttete all' sein
Geld in die Schürze der Bäuerin. Auf das schnellste entfernte er
sich wieder, und die Bäuerin konnte ihm nicht einmal danken.
Ein andermal ging Oberlin bei einer Trödlerin vorüber. Ein
armes Weib handelte um ein altes Kleidungsstück. Es fehlten ihr
nur noch zwei Groschen zum geforderten Preise. Sie mußte vom
Ankaufe des benötigten Kleides absehen und ging betrübt davon.
Fritz Oberlin bemerkte den Handel. Er wartete nur auf den Augen—
blick des Weggehens der Armen. Alsdann ging er schnell zur
Trödlerin, drückte derselben zwei Groschen in die Hand und sagte
leise zu ihr: „Rufet jetzt die arme Frau zurück, und lasset ihr den
Rock.“ Er aber ging eilend davon.
229. Der Stelzfuß.
Ein armer Mann, der einen Stelzfuß hatte, ging durchs Dorf
an einer Schar Knaben vorüber. Der ungezogene Heinrich lachte
über ihn und ging hinkend hinter ihm drein und spottete ihn aus
Der Mann wandte sich um und schaute wehmütig auf den Spötter.
Dann sagte er zu ihm: „Knabe, ich habe als Soldat fürs Vaterland
gestritten. Mein Bein habe ich in der Schlacht durch eine Kugel
verloren. Dieser Stelzfuß verdient also deinen Spott nicht.“ Die
sanfte Rede drang in aller Herzen. Die Knaben zogen grüßend ihre
Mützen ab vor dem Manne, und der schamrote Heinrich wagte nicht
mehr aufzublicken. Er spottete nie wieder über einen Unglücklichen.
230. Der Greis und der Knabe.
1. Den steilen Waldweg wankt hinan
mit einer schweren Last ein Greis
Gar sauer wird's dem armen Mann,
von seiner Stirne rinnt der Schweiß.
2. Ein rüst'ger Knabe springt daher
in jugendlichem Ungestüm.
Laut seufzt der Greis: „Ich kann nicht mehr!“
Das hört der Knabe hinter ihm.