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Keiner der Orte, von denen diese Bisthümer den Namen haben,
war damals eine Stadt; es gab dergleichen^im ganzen Sachsenlande
nicht. Es haben sich vielmehr die späteren Städte dieses Namens erst
um die Bischofssitze entwickelt. Auch war die Stellung der von Karl
dem Großen eingesetzten Bischöfe keineswegs eine sehr glänzende und
erinnert in nichts an die Pracht, mit der die Kirchenfürsten sich später
umgaben. Zur Unterhaltung des Bischofs und des mit dem
Bischofsitze verbundenen Stiftes mußte eine geringe Anzahl Hufen
Landes, welche vom Kaiser der Kirche überwiesen waren, aus-
reichen. So mußte z. B. der Bischof von Bremen sich und seine
Kirche von 70 Hufen Landes erhalten, und die Gründung von Hildes-
heim beruhte auf Schenkung eines Herrenhofes, zu welchem freilich
viele Liten gehört haben mögen, in dem sog. alten Dorfe Hildes-
heim, welches später verlassen wurde, als der Bischof seine Kirche aus
der Spitze eines Hügels am rechten User der Innerste erbaut hatte. —
Man trieb mit Hülse unfreier Knechte selber Landwirtschaft, und zahl-
reiche ebenfalls unfreie, der Kirche angehörige Handwerker arbeiteten
für die Bedürfnisse des Stiftes, welches somit wirtschaftlich ganz
selbständig dastand, auch die meisten Rohproducte: Wolle, Leinen und
dergleichen selbst erzeugte. Nur Metalle und Salz mochten zugekauft
werden. Die Kirchen waren anfänglich, nach der Weise jener Zeit, ganz
aus Holz gebaut, und sind erst später, meistens in Folge von Bränden,
durch die stolzen Domkirchen ersetzt, die wir noch jetzt bewundern. (Der
Dom von Hildesheim z. B. wurde 1061 unter Bischof Hezilo vollendet.)
Neben der Kirche befanden sich die Wohnungen des Bischofs und der
Stiftsgeistlichkeit, sowie die Gebäude für die Unechte des Stiftes, große
Vorrathshäuser, endlich auch das Gebäude für die Schule, in welcher
junge Leute für den geistlichen Stand herangebildet, aber auch Söhne
begüterter Leute aufgenommen wurden, um hier, an den einzigen
Stätten der Wissenschaft, Unterricht zu empfangen. Aber nicht bloß
die Wissenschaften fanden hier ihre Pflege und wurden vor gänzlichem
Erlöfchen bewahrt; auch die Künste wurden fleißig geübt. Bilder und
Statuen schmückten die Kirchen, und für das arme Volk, dem Lesen und
Schreiben unbekannt war, waren diese Bilder die Quellen, aus denen
es neben den Erzählungen der Priester die Heilsthatsachen des Christen-
thumes kennen lernte. Die kunstvolle Decke der Michaeliskirche, die
metallenen Thüren des Domes und die Bernwardssäule in Hildesheim,
sämmtlich Werke des Bischofs Bernward (ums Jahr 1000), sind als
eine Bilderbibel anzusehen, durch welche dem Volke die Geschichte des
alten und neuen Bundes aufs lebendigste vor Augen geführt wurde.
Aber diese Kunstübung hat auch noch eine andere Bedeutung. Karl
der Große hatte zu seinen Prachtballten in Aachen sich griechischer und
italiänischer Künstler bedient und nach ausländischen Mustern sich ge-
richtet. Hier aber an den niedersächsischen Bischofsitzen und besonders
in Hildesheim riß man sich von den fremden Überlieferungen zuerst
los, und von hier beginnen die Anfänge einer eigentümlich deutschen
Kunst, die den erstarrten Formen der Römer und Griechen entsagte
und den tieferen Inhalt biblischer Geschichten gemüthvoll zur Darstel-
lung zu bringensuchte. Darumsind unsjene, oft noch so roh erscheinenden,
aber boch von einem tiefen Gemüthsleben zeugenden Bilder doppelt heilig.