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vergebens unternehmen. Nunmehr ist mir nichts so lächerlich, als ein ehrlicher
Mann in einem schlechten Anzuge, und das ist mir ganz unerträglich, wenn ein
solcher Mann darum, weil er ehrlich ist, angesehen und bewundert zu sein ver¬
langt. Wie lange muß er sich durch Hunger und Verachtung hindurch winden,
ehe er es nur soweit bringt, daß er von Leuten, welche ihre Kleider vorzüglich
machen, einigermaßen gelitten wird! Eine ängstliche Bemühung, seinen Pflichten
Genüge zu leisten, bringt ihn in dreißig Jahren zu der Hochachtung nicht, zu
welcher er durch ein prächtiges Kleid in vier und zwanzig Stunden gelangen kann.
Man stelle sich einen solchen Mann vor, welcher mit seiner altväterischen und ein¬
förmigen Kleidung sich in eine Gesellschaft von vornehmen Kleidern zum ersten
Male wagl. Er muß sehr glücklich sein, wenn ihm nicht der Thürsteher den ersten
Schritt ins Haus verwehrt. Drängt er sich auch bis in das Vorzimmer, so hat
er sich noch durch eine Menge von Bedienten durchzuarbeiten, wovon ihn die
meisten lächerlich finden, viele gleichgiltig ansehen, und die billigsten gar nicht
bemerken. Er verlangt Jhro Excellenz aufzuwarten; man antwortet ihm nicht.
Er verlangt Jhro Excellenz unterthänigst aufzuwarten; ein Lakei weiset ihn an
den andern, und keiner meldet ihn an. Er steht beschämt an: Kamine. Er steht
Allen im Wege. Er sieht endlich den Kammerdiener. Er bittet gehorsamst, ihm
die hohe Gnade zu verschaffen, daß er Jhro Excellenz seine ganz unterthänige Auf¬
wartung machen dürfe. „Komme der Herr morgen wieder; es ist heute Gesell¬
schaft im Zimmer!" — Aber wäre es nicht möglich? — „Kurz, nein! Jhro
Excellenz hätten Viel zu thun, wenn sie jede Bettelvisite annehmen wollten! Der
Herr kann morgen wieder kommen!" — Da steht der tugendhafte, der ehrliche,
der gelehrte Mann, der Mann von großen Verdiensten, welcher sich redlich und
mühsam nährt, seinem Fürsten treu dient, hundert Menschen durch seinen guten
Rath glücklich gemacht hat, mit ängstlicher Sorgfalt die Rechte gedrückter Wittwen
und Waisen schützt, Niemand um das Seinige bringt; da steht der rechtschaffenste
Patriot. Sein schlechter Anzug drückt alle Verdienste nieder. Er schleicht beschämt
zur Thür, um sich der Verachtung der Vorzimmer zu entziehen. Man stößt ihn
mit Gewalt von derselben weg, man reißt beide Flügelthüren mit einer ehrfurchts¬
vollen Geschäftigkeit auf, alle Bedienten kommen in Bewegung, alle richten sich in
eine demüthige Stellung, der Kammerdiener fliegt ins Zimmer seines Herrn, es
wird Lärm darin, man wirft die Karlen hin. Jhro Excellenz eilen entgegen, und
wem? einem vergoldeten Narren, welcher die Treppe herauf gJaselt kommt und
den Schweiß seines betrogenen Gläubigers auf der Weste trägt. Sein Kopf, so
leer er ist, wird bewundert, weil er gut frisirt ist; sein Geschmack besteht in der
Kunst, sich artig zu bücken. Hätte er Verstand, so würde er alle sechzehn Ahnen
beschämen; nur aus kindlicher Hochachtung gegen seine Vorfahren, hat er sich in
Acht genommen, verständiger zu werden, als sie gewesen sind. Sein Herz ist bos¬
haft, so viel es ihm seine vornehme Dummheit zuläßt. Er hat nicht das Geringste
gelernt, womit er dem Vaterlande oder sich selbst dienen könnte, und womit er
Jemandem dient, das sind leere Gnadenversicherungen. Er borgt, er betrügt, er
pfeift, er lacht, er spielt gern und unglücklich, und Jhro Excellenz freuen sich mit
offenen Armen über die Ehre seines Zuspruches. Nun ist unser redlicher Mann
ganz vergessen, und es ist ein Glück für ihn, daß er noch ohne Schaden aus dem
ehrfurchtsvollen Gedränge entronnen ist und die Treppe hinunter kommen kann.
Es^ geschieht ihm Recht! Der Thor! Warum hat er nicht bessere Kleider und
geringere Verdienste?
Dcan thut der Welt Unrecht, wenn man sagt, daß sie bei den Verdiensten
rechtschaffener Männer unempfindlich und blind sei. Sie ist es nicht; aber man