Full text: Heimatkunde für Großstadtschulen

Einleitung. 
In letzter Zeit wird häufig die Ansicht vertreten, daß der Ausdruck 
„Heimatkunde" für deu ersten geographischen Unterricht der Großstadt 
(3. Schuljahr) nicht zutreffend wäre. Was weiß ein Großstadtkind von 
Heimatgesühleu! Im enge» Stockwerk eines Mietshauses geboren, vielfach 
in andere Räume und Straßen verpflanzt, sür seine Spiele angewiesen 
auf das Getriebe der Straße, im besten Fall aus einen engen Hos oder 
sonnendurchtränkten, mit Menschen überfüllten Platz, kennt es nicht das 
schöne Gefühl innigen Verwachsenseins mit der Umgebung. Ein Vaterhaus 
hat es nicht — wie kann es Wurzel fassen in einem Boden, aus dein es 
immer und immer wieder verpflanzt wird? 
Wie anders ist die Jugend des Landkindes! Die traulichen Stätten 
kindlicher Spiele, der heimatliche Garten mit seinen schattigen Geheimnissen, 
die lieben Haustiere da hinten im Stall, in dem das Kind so gern weilt, 
stets neue Schönheiten uud Reize entdeckend, das Loch iu der Mauer, durch 
das es verborgene Schlupfwinkel des Nachbargartens erspähen kann, der 
Hügel, von dem aus man die Sonne müde zur Ruhe gehen sieht, das 
Büchlein, das selbstgebaute Kähne fernen Gegenden zuführt — das alles sind 
Bande, die ein ganzes Leben unsteten Manderns in einem Landkinde nicht 
zu zerstören vermag. Wo finden wir Gleichartiges im Großstadtleben? 
Auch die trauten Freunde der Kindheit, alte, liebe Nachbarsleute und die 
ganze Dorfjugend, der Schullehrer und der Herr Pfarrer, der Küster und 
Totengräber — welch ein Landkind würde sie im späteren Leben vergessen! 
Und mit der Schätzung der Mitwohner eng verknüpft, wächst auch das Gefühl 
von der Bedeutung der eigenen Persönlichkeit — was für ähnliche Werte von 
lebenslänglicher Bedeutung hatte die Großstadt für das Kind aufzuweisen! 
Nein, ein Heimatgefühl, wie es das Landkind empfindet, das muß zu- 
gegeben werdeu, können wir in unserer Großstadtjugeud nun und nimmer 
erzeugen. Aber darum wollen wir nicht ans jede Möglichkeit verzichten, 
das Stadtkind die Heimat lieben und schätzeil zu lehreil. Was ist denn 
eigentlich hier beim Kind das Bleibende im steten Wechsel seiner Er- 
sahrungen? Das ist zweifellos seine Familie. Dort findet es in den 
vertrauten Möbeln seiner Kinderstube, im bequemen Lehnstuhl des Wohn- 
zimmers, in der verschwiegenen Ofenecke des Großmntterstübchens Ersatz 
sür das Vaterhaus des Landkindes. Dies ist der Ruhepunkt, von dem wir 
Lehrer auszugehen haben, wollen wir die Schüler zur Heimatliebe erziehen 
und treue Hüter lieber Kindheitserinnerungen heranbilden. Dort in erster 
Linie wird des Kindes Persönlichkeit, die im Großstadtgetriebe zertreten 
würde, herangebildet, es lernt sich als besonderes Glied einer Lebens- 
gemeinfchaft auffassen. Aber dabei dürfen wir nicht stehenbleiben. Wir 
haben hier in der Großstadt ein anderes, höheres Mittel, das Kind zur 
Liebe für seineu Heimatort zu erziehen, als dasjenige, das allein durch 
das Gefühl bedingt ist. Man zeige dem Kinde das ganze, vielseitige Ge- 
triebe großstädtischer Kultur, weise es daraus hin, wie unendlich Großes
	        
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