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und sahen nun mit Entsetzen, daß sie auf eine Sandbank festgefahren
waren. Zwar kam die Flut, von der man ein Flottwerden hoffen
konnte, aber sie trieb das Schiff nur immer höher auf den Sand.
Mit furchtbarer Gewalt stürzten die Wogen über das Verdeck, zugleich
den inneren Schiffsraum mit Seewasser füllend. Jeden Augenblick
mußten die nach oben geflüchteten Leute befürchten, über Bord gespült
zu werden, und nur durch festes Anklammern versuchten sie sich zu
schützen. Da machte der Oberleutnant Keim, eben der, der dieses Er¬
lebnis später erzählt hat, den Vorschlag, am Vordermast emporzu¬
steigen und im Mastkorb sich so lange zu halten, bis Hilfe nahte.
Mancher aber, in dumpfer Stimmung und an Rettung verzweifelnd,
lehnte es ab und wurde nach kürzerem oder längerem Kampfe von den
Wogen weggeriffen. Keim jedoch führte seinen Vorsatz aus, nicht
achtend, daß ihm beim Ausstieg die Schuhe von den Füßen sielen;
andre folgten seinem Beispiel, und bald waren nicht nur der Mastkorb,
sondern auch die Leitern am Maste mit Menschen gefüllt.
Auf dem Verdeck war neben einigen andern der Befehlshaber
der Truppen dieses Schiffes, Hauptmann Müller, geblieben. Er ver¬
mochte indeffcn nicht lange dem wütenden Ansturm der Waffer Wider¬
stand zu leisten; eine mächtige Welle riß ihn in die brausende See.
Als dies einer seiner Untergebenen, der Sergeant Philipp Dietz aus
Burgschwalbach, der auf einer der Leitern stand, bemerkte, rief er:
„Ich muß meinen Hauptmann retten!" Er ließ sich an einem Seile
auf das Verdeck hinab und wollte ein Boot losmachen, um zu jenem
zu gelangen, aber eine Welle erfaßte auch ihn und schleuderte ihn
ins Meer, das ihn nicht mehr zurückgab.
Viele noch folgten ihm dorthin, auch von denen, die sich auf die
Leitern geflüchtet hatten; denn vom Waffer durchnäßt und von Kälte
erstarrt, stürzten sic herab und wurden von den Wellen hinwcggespült.
— Gegen Abend schien plötzlich Erlösung zu nahen. Ein Boot wurde
sichtbar und steuerte auf die Schiffbrüchigen zu. Alle schöpften die
Hoffnung, nun endlich ans dieser furchtbaren Lage befreit zu werden.
Als es nah gekommen war, wurde in französischer Sprache gefragt,
woher das Schiff gekommen und was es geladen habe. Man ant¬
wortete, daß es aus England käme und deutsche Truppen an Bord
habe. Da scholl es zurück in französischer Sprache: „Nun denn, auf
Wiedersehn morgen!" Mit diesen höhnischen Warten fuhren die
Insassen des Bootes zurück und überließen die vergebens um Hilfe