Full text: [Sechster Teil = [Klasse 4], [Schülerband]] (Sechster Teil = [Klasse 4], [Schülerband])

sie den Glücklichen. Der Samstag-Christoph, arm und häßlich wie sie, 
aber geachtet von allmänniglich und geliebt von jedem Kinde, selbst von 
den Vöglein der Lüfte, war ihr ein Dorn im Auge. Im allgemeinen 
achtete man nicht auf die Brennessel-Gret, was sie auch sagen und tun 
mochte. Auf einmal aber ging ein ganz eigenartiges Gerücht durch aller 
Leute Mund: nun endlich wisse man's, warum der Samstag-Christoph 
so trefflich säe, er benütze den Bösen dazu, der müsse ihm jedes Korn auf 
den genau abgemessenen Platz in die Erde legen und bekäme dafür die 
erste Handvoll, die der Christoph auf unfruchtbaren Boden wirft. Der 
Samstag-Christoph sei ein Hexenmeister. 
Wer das Ding zuerst ausgestreut, das wußte man nicht, aber das 
alte Brennesselweib kicherte. 
Man weiß, wie Bauern sind — im nächsten Jahre säte jeder sein 
Kornfeld eigenhändig, und dem alten Christoph wich man aus und grüßte 
ihn kaum mehr. Dieser lebte verborgen in seiner Scheune, während draußen 
der Frühling war. Aber als die Saat aufging, gab es über die Felder 
hin viele aschgraue, kahle Streifen, und zur Blütezeit wucherte Nesselkraut 
und Hederich zwischen den Halmen, und in den Erntetagen lagen die 
Garben etwas dünn zerstreut auf den Stoppeln. 
Im nächsten Herbste wurde in der Hütte der Brennessel-Gret viel 
gebetet und geflucht. Das Weib hatte sein Kornäckerlein bestellt, aber nun 
bekam es, wie sonst alljährlich, keinen Samen von der Nachbarschaft: 
erstens, weil solcher in diesem Jahre rarer war als sonst, zweitens, weil 
sich das Weib so verhaßt gemacht hatte. Alles bestellte seine Wintersaat, 
aber der Acker der Witwe blieb brachliegen. Christoph hatte in seinem 
Vorrat einen Kübel Korn; da dachte er bei sich: Streue ich diese Körner 
auf ihr Feld, so bin ich wieder der Hexenmeister, Mnd bleibt ihr Acker 
leer, so verhungert sie mit ihren drei Kindern. — Da war der alte Mann 
einmal über eine Nacht nicht in seiner Scheune. 
Der Winter kam und ging vorüber; in der Hütte des Nesselweibes 
war Trostlosigkeit; die Gret betete für ihre Kinder und verfluchte alle 
übrigen Menschen. Aber im Frühjahr, als alle Felder grünten im weiten 
Tale, grünte auch das der Witwe; es ging auf demselben das Korn auf 
in saftiger Fülle und schöner Gleichmäßigkeit, erquickender zu sehen wie 
alle Äcker der Großbauern. Der Samstag-Christoph hatte hier gesät, es 
ließ sich nicht leugnen. Nächtlicherweile mußte er es getan haben, und 
dennoch stand jedes Hälmchen von den andern wie abgemessen. Das 
hätte den Argwohn von dem „Hexenmeister" wohl bestärkt; aber der 
Pfarrer sagte: „Er hat Almosen gegeben mit der Linken, ohne daß es die 
Rechte wußte; er ist gegangen auf den Acker des Feindes um Mitternacht 
und hat das Unkraut zertreten und guten Samen gestreut. Ehre dem Manne!" 
Ich habe den alten Samstag-Christoph noch gekannt. Über seinen 
Körper schienen alle Übel kommen zu wollen; in seinen letzten Jahren 
Porger-Lemp, Lesebuch. VI. 17
	        
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