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fordert, nicht habe ich mich in den Kampf gedrängt; ungern entsagt der
Mann der angebotenen Ehre." Er trat rückwärts zum Sprunge, hob
sich gewaltig in die Luft und vollbrachte den Schwung, daß alles Volk
jauchzte, und da er zurückkehrte, achtete er nicht auf die unwillige Miene
der Fürstin, er freute sich, daß ihm die Kunst gelungen war, und daß
Irmgards Angesicht rosig erglänzte. Lange wogten die Zuschauer durch¬
einander, sprachen über die Kühnheit des Fremdlings und rühmten ihn,
bis dem Wettkampf der Männer andere Ziele gesetzt wurden. Ingo
stand fortan still neben den Häuptlingen, und niemand forderte ihn zu
neuem Streit.
Das Mahl.
Schon neigte sich die Sonne von ihrer Höhe, da nahte der Sprecher
dem Fürsten und lud die Gesellschaft zum Mahle. In fröhlicher Er¬
wartung folgten die Männer dem Rufe, sie wandten sich im Zuge nach
dem Hose zurück und schritten die Stufen der Halle hinauf. Der
Sprecher und der Truchseß traten ihnen vor und ordneten an den Tafeln
der Halle jeden nach Rang und Gebühr. Dies war eine sorgliche
Arbeit; denn jeder begehrte den Platz, der ihm geziemte: entweder am
Tisch des Häuptlings oder nahe bei ihm, lieber ans der rechten Seite
als auf der linken. Es war eine lange Reihe von Tischen, die Sitze
daran für die Vornehmsten mit einer Armstütze und für die Ansehnlichen
immer noch mit hoher Lehne, für die Jüngereil ein schöner Schemel.
Schwer war's, allen mit dem Ehrensitz Genüge zu tun, aber der Sprecher-
verstand sein Amt und wußte manchem seinen Platz zu loben wegen der
Nachbarn und der Nähe der Frauen und wegen guten Überblicks über
den Saal. Zunächst der Tür lagerten die Bankgenossen des Hausherrn
in langer Reihe, dort hatte den Ehrenplatz Theoduls, und ihm gegen¬
über saß ganz unten der Fremde. Da alle erwartend saßen, trat der
Schenk mit den Dienern ein und trug in schönen Holzbechern den Be¬
grüßungstrank; der Wirt erhob sich, trank den Gästen gutes Heil zu,
und alle standen aus und leerten die Becher. Darauf kam der Truchseß
mit seinem Stabe, und hinter ihm eine lange Reihe Diener, welche die
erste Tracht auf die Tische setzten; da ergriff jeder sein Messer, das er
an der Seite trug, und begann rüstig das Mahl. Im Anfang war es
schweigsam um die Bänke, und sie rühmten nur mit leisem Dank die
reichliche Fürsorge der Herrin. Doch die Ältesten in der Nähe des
Fürsten tauschten ernsthafte Worte, sie dachten an vergangene Taten der
Helden und lobten die Tugenden ihrer Rosse. Die andern aber horchten
essend gern auf ihr Gespräch.
Und ein Edler an der Seite des Fürsten begann laut: „Das Liebste
fürwahr im Sommer ist mir ein solches Hochfest, wo die Landgenossen
einander auf grüner Wiese im Heergewand grüßen, die grauen Häupter
erinnern sich alter Kriegsreisen, die schlachtensrohe Jugend erweist im