16. Europa's Gebirgsbau im Vergleich mit anderen Welttheilen. 61 
Der Orient hatte seine Annalisten, aber nie brachte er einen Tacitus, 
einen Gibbon hervor; er hatte seine Dichter, aber nie erhob er sich 
zur Kritik; er hatte seine Weisen, die nicht selten mächtig durch ihre 
Lehren auf ihre Nationen wirkten; aber ein Plato, ein Kant konnten 
an den Ufern des Ganges und des Hoangho dennoch nicht reifen. 
Und ist sie weniger bewnndernswerth, diese politische Uebcrle- 
genheit, welche die Völker dieses kleinen Welttheils, kaum ans der Roh¬ 
heit hervorgehend, auch sofort über die weiten Länder der großen Cou- 
tinente gründeten? Auch der Orient sah große Eroberer; aber nur in 
Europa traten Heerführer auf, welche eine Kriegskunst erfanden, die 
wirklich diesen Namen verdient Kaum war in Macedonien ein Reich 
beschränkten Umfangs der Kindheit entwachsen, so herrschten auch Ma- 
ccdonier am Indus wie am Nil. Erbin dieses wettherrschcnden Vol¬ 
kes wurde die weltherrschende Stadt; Asien und Afrika beteten vor 
den Cäsars an. Umsonst suchten selbst in den Jahrhunderten des Mit¬ 
telalters, als die geistige Ueberlegenheit der Europäer gesunken zu sein 
schien, die Völker des Ostens sie zu unterjochen. Die Mongolen stürm¬ 
ten bis Schlesien vor, nur die Wüsten Rußlands gehorchten ihnen eine 
Zeit lang; die Araber wollten den Westen überschwemmen, das Schwert 
Karl Martell's zwang sie, sich mit einem Theile Spaniens zu begnü¬ 
gen; und bald trotzte der fränkische Ritter unter dem Panier des Kreu¬ 
zes ihnen in ihrer eigenen Heimat. Und wie überstrahlte der Ruhm 
der Europäer die Erde, seitdem durch Columbus und Vasco de Gama 
für sie der Morgen eines schöneren Tages anbrach! Die neue Welt 
ward sofort ihre Beute, um einst, durch sie angebaut, ihre Nebenbuh¬ 
lerin zu werden; mehr als der dritte Theil Asiens unterwarf sich dem 
russischen Scepter; Kaufleute au der Themse und der Zuyder-See ris¬ 
sen die Herrschaft Indiens an sich; und wenn es bisher noch den Os- 
manen gelang, ihren Raub in Europa zu behalten, wird er ihnen im¬ 
mer, wird er ihnen noch lange bleiben? Es' mag sein, daß jene Er¬ 
oberungen mit Härte, mit Grausamkeiten verbunden waren; aber Eu¬ 
ropäer wurden doch nicht bloß die Tyrannen, sie wurden auch die Leh¬ 
rer der Welt; au ihre Fortschritte scheint die Civilisation der Völker 
immer enger geknüpft; und wenn sich in den Zeiten der allgemeinen 
Umkehrungen noch eine tröstende Aussicht für die Zukunft eröffnet, ist 
es nicht die siegende europäische Cultur außer Europa? 
16. Europa's Gebirgsbau im Vergleich mit anderen Welttheilen. 
(Nach Adam Schaubach, die deutschen Alpen.) 
Wohl nicht mit Unrecht ist der Gebirgsbau unseres Planeten mit 
dem Knochenbau der Thiere verglichen worden. Wie man aber aus 
den äußern, bald schlankern, bald plumperen Umrissen eines Thieres 
Raphael Sa uz io's (ch 1520) letztes Gemälde und hat lange als sein 
vorzüglichstes Werk gegolten.
	        
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