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bis die Stunde schlug, in welcher du zu der kommen mußtest, die du ver¬
stoßen hattest. Um Gotteswillen darf ich nicht hart gegen dich sein — ich
verzeihe dir, möge dir Gott ein Erbarmer sein!"
Da klappten die Knochenfinger auseinander, und im Nu fiel das Ge-
rippe zusammen in einen Haufen losen Gebeins. Ein Schrei des Ent¬
setzens entfuhr aller Lippeu. Die Greisin aber sprach nach einer langen
Pause mit feierlicher Stimme: „Jetzt weiß ich, warum Gott mir so lange
das Leben geschenkt hat. Du bedurftest der Versöhnung mit mir . . ."
Von ihren Angehörigen erlangte die Greisin nach langem Bitten das
Zugeständnis, daß das zerfallene Gerippe des Klappermanns später mit in
ihr eigen Grab gebettet werde.
26. Wie Schöneck entstanden sein soll.
I.
Wer hätte noch nicht von einem Berge seines Heimatortes ans im
Abendsonnenscheine Schöneck liegen sehen, das kleine, freundliche Städtchen
hoch oben am Bergabhange? *)
Wie weit kann man vom Friedrich-Auguft-Stein, dem Felsen neben
der Kirche, oder vom Bahnhofe aus im Lande umher schauen! Bis nach
Landwüst und zum Kapellenberg, bis zum Fichtelgebirge in Bayeru und
zum Frankenwalde in Thüringen reicht dein Blick. Wie eine große, breite
Mulde liegt der größte Teil des Vogtlandes hier vor uns. Tief geht es
hinunter bis zum Thale der Elster, wo man die Kirchtürme von Ölsuitz
erblickt, und hoch wieder hinauf bis zum Stelzeubanme. Fürwahr, die
Leute hatteu Recht, die den Ort die „schöne Ecke" nannten!
Herrlich ist es an warmen Tagen in dem großen „Schönecker Walde".
Sorglos kann man sich jetzt darin ergehen. Aber früher war das ganz
anders. Noch vor 150 Jahren hausten in diesen finstern Wäldern Wölfe
und Bären. Wollten die Leute aus den umliegenden Dörfern nach Schöneck
gehen, so versahen sie sich mit einem großen Stück Brot oder mit sonstigen
Nahrungsmitteln und gaben davon dem „Freund Petz" ab, um so mit ihm
auf gutem Fuße zu bleiben. Viele Bären wurden im Bärensang bei Kotten-
Haide lebendig gefangen und an den Kurfürsten abgeliefert; andere wurden
in die jetzt noch sichtbaren Bärenlöcher gelockt und dort getötet. Im 17.
und 18. Jahrhundert kamen Leute vom ganzen Vogtlcmde, z. B. von Chriesch-
Witz, Pirk, Schwand, ja sogar von Schönheide, Eibenstock, Stollberg bei
Chemnitz, hierher auf die Jagd, um sich „Wolfspelze" uud „Bärenschinken"
zu holen. Gar mancher kühne Jäger hat aber bei der strengen Kälte und
dem Schneetreiben im Winter da oben fein Leben eingebüßt, und sein Leich-
nani wurde oft erst im Frühjahr bei eintretendem Tauwetter unter dem
Schnee hervorgezogen. Ja, Schöneck kann auch manchmal ein rechtes
„Schnee eck" sein!
Die dichten, finstern Wälder mit ihren tiefen Thälern waren in Kriegs-
zeiten oft sichere Verstecke für die Bewohner des oberen Vogtlandes. Das
*) Schöneck ist die höchste Stadt des Vogtlandes; der Bahnhof liegt 768 ra
über dem Spiegel der Ostsee. Nicht weit von Schöneck liegt das höchste Bauerngut
in Sachsen, Hohenreuth.