Object: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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sich — Stille spendend — der Wipfel der Welt — Esche (Aggdrasil), 
deren starker Stamm hinunterreicht bis zur Erde. Mit drei unge¬ 
heuren Wurzeln haftet sie in den gähnenden Gründen, aus deren 
Vereisung einst die Welt entstand. An der ersten dieser Wurzel 
schmiegt Midgard, das Reich der Menschen, sich an. Unter der 
zweiten sprudelt der ewige Brunnen, der Uranfang alles Lebens. 
Seine Hüterinnen sind drei Schwestern, Nornen genannt, Urd, 
Werdandi und Skuld, d. i. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 
Sie sind die Wissenden, die Schicksalsfügerinnen, die mit geheimnis¬ 
vollen Fäden spinnen und weben die Geschicke der Götter und 
Menschen. Die dritte Wurzel des Weltenbaumes senkt tief, tief 
sich hinab bis in das kalte, dunkle Niflheim; keiner hat je ihren 
Anfang erschaut. 
In den laubigen Zweigen aber des Wipfels,..der hoch im lichten 
Himmelsraum sich breitet, reifen jene goldroten Äpfel, deren Genuß 
den Göttern ewige Jugend - Schöne, Jugend - Kraft und Jugend- 
Fülle täglich erneut. Jdun, der Göttin der Jugend, sind sie anver¬ 
traut; sie hat dieselben zu hüten, zu pflücken und den Äsen zum 
frohen Mahle zu bieten. Von den laubigen Zweigen nährt sich 
auch die Ziege Heidrun, deren Milch zu starkem, berauschendem 
Met wird, den die Götter aus güldenen Trinkhörnern trinken, wenn 
zu festlicher Versammlung sie niedersitzen in Odins Saal. Dann 
steht Bragi, der Sänger, hochgeehrt in ihrer Mitte und erfreut 
die Lauschenden durch seiner Lieder süßen Klang. Schöpfer der 
Skaldenkunst, Dichter und Sänger zugleich, preist er begeistert in 
beredten Worten Heldentat und Ruhm und Ehre. Obwohl er ein 
Greis mit silberwallendem Bart, ist doch Jdun, die Jugendschöne, 
sein holdes Gemahl — allen zum Zeichen, daß nimmer altert im 
Gemüt, wem köstlich die Gabe der Kunst gnädige Götter verliehen. 
Aber wie sonnig und licht auch der Weltesche Wipfel blüht, 
aus dessen Früchten den Göttern selbst ihre Unsterblichkeit täglich 
sich erneut; wie reich auch aus seinen Zweigen tauende Tropfen 
herniederträufen zum Brunnen alles Lebens, die Flut zu erneuen, 
die die trinkende Wurzel täglich ihm mindert: unten in Niflheim 
an der dritten Wurzel des Weltenbaumes lagert Nidhöggr, das 
heftig hauende Einhorn, und sucht nagend sie zu vernichten. Ver¬ 
gebens rauscht zornig ob solchen Beginnens der Wipfel und sendet 
durch sein hurtiges Eichhörnchen zürnende Botschaft hinab zum 
Zerstörer; dieser schickt es mit scheltendem Zankwort wieder auf¬ 
wärts. Doch nur die wissenden Schwestern, die drei Nornen, die 
am Quell des Bronnens sitzen und Schicksalsfäden spinnen, haben 
dessen acht. Nur sie schauen den geheimnisvollen Zusammenhang 
zwischen der zehrenden Wurzel und dem nährenden Wipfel, den 
ewigen Kreislauf von Leben und Vergänglichkeit. Nur sie ahnen,
	        
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