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das schmale Gesichtchen. Ihr Herz war zum Zerspringen voll;
sie hätte hinausschreien können vor Weh. „Liebes, liebes Mutterle!"
sagte der Knabe. „O werde mir nur wieder gesund, dann ist
alles gut," stöhnte sie, und Fritzchen tröstete das Mütterlein und
versprach es ihr sest, er werde bald wieder gesund werden. „Weißt
du," sagte er, „der liebe Vater ist ja jetzt im Himmel, und da bittet
er schon das Christkindlein, daß es mich bald gesund werden läßt."
„Gebe es Gott," seufzte die Frau, indem sie mit fiebernder Hast
ihre Arbeit wieder aufnahm.
Es war ein blaues Sammetkleid, das diesen Abend auf
dem Weihnachtstisch eines jungen Mädchens liegen sollte. Mit
dem Arbeitslohn konnte die Sehnsucht des kleinen Herzens, das
so wild in der kranken Brust schlug, gestillt werden, und — o
vielleicht brachte die Freude Rettung vor dem drohenden Tode.
Ruhig lag das Kind; die Mutter glaubte, es wäre ein¬
geschlafen. Da auf einmal hörte sie sein leises Stimmchen das
Lied hersagen, das Fritzchen vor einem Jahr zu Weihnachten
gelernt hatte:
In der Krippe lag das Kindlein,
Lag bei Ochs und Eselein,
Und von seinem Angesicht
Strahlte aus ein helles Licht.
O, leucht' mit Deinem Gnadenschein
In unsre Nacht, lieb's Jesulein!
In alle Herzen leucht' hinein,
Daß sie erwärm' die Liebe dein.
Vor ihrer Glut die Not verschwind' —
Das gib, o liebes Jesukind.
„Und gib mir auch ein schönes Bilderbuch" — setzte Fritz¬
chen noch hinzu.
„O, leucht' mit Deinem Gnadenschein
In unsre Nacht, lieb's Jesulein"
wiederholte leis und inbrünstig die Frau, und Tränen rannen
ihr über die schmalen Wangen. Sie gedachte der letzten Weih¬
nachten, wo noch der liebe Vater bei ihnen war, wo das Kind,
noch frisch und rosig, jubelnd unter dem Weihnachtsbaume stand.
Der letzte Stich war gemacht. Die Frau legte das Kleid
sorgfältig in eine große Schachtel, und indem sie zu dem Bette