Object: Prosalesebuch für Prima (Teil 7)

u. v. Wilamowitz-Möllendorf: Weltperiodcn. " 
Meer und läßt sich bis an die beiden Flußtäler des Niles und des 
Euphrats verfolgen, die in der oder den früheren Weltperioden die 
Zentra der Kultur gewesen waren. 
Vor dem Anstürme der frischen Völker bricht eine vermorschte 
Zivilisation zusammen, an der auch jene Vorfahren der Hellenen teil 
hatten, deren Burgen und Gräber nun wieder zu uns reden. Da¬ 
durch kennen wir die materiell reicheren älteren Zustände besser als 
die homerischen Dichter, die aus immer mehr verblassender Erinne¬ 
rung von den Stürmen der Völkerwanderung erzählen, gerade wie 
das germanische Epos von Goten und Hunnen und dabei von Verona 
und Ravenna handelt, das altfranzösische von den Wirren der 
Merowingerzeit, die aus der Mischung von Franken, Römern und 
romanisierten Kelten die neue Nationalität ebenso hervorgehen sah, 
wie die Hellenen aus der älteren Bevölkerung, die zum guten Teile 
nicht einmal arisch gewesen war, und den keineswegs durchaus ur- 
griechischen Einwanderern erwachsen sind. Jahrhunderte hat es dann 
gedauert, bis diese neue Nation zu dem Bewußtsein ihrer Eigenart 
gelangte und sich eiue Gesellschaftsordnung und Staatsversassung, 
Religion und Sitte schuf, die spezifisch hellenisch heißen durften. Es 
siud diese Jahrhunderte, die auf fast allen Gebieten überraschende 
Analogien zu dem Mittelalter der christlicheu Periode bieten. 
Auf sie folgt die in Wahrheit unvergleichbare Blütezeit, da 
sowohl die Freiheit und Ehre des nationalen Staates wie die Frei¬ 
heit des Menschen in seinem Fühlen und Denken, Glauben und Han¬ 
deln erfaßt und behauptet wird, da die Wissenschaft offenbart wird, 
nicht als eine fertige Wahrheit, sondern als das unendliche Streben 
zur Wahrheit. Erst die Vereinigung so vieler der höchsten Güter macht 
jene Zeit unvergleichbar; aber vereinigt erscheinen sie nur dem Blicke 
aus der Ferne, genaueres Zusehen zwingt zu Distinktionen. Die 
ionischen Männer, die zuerst den Blick zum Himmel aufschlugen, 
nicht um Geister zu bannen oder die Zukunft zu lesen, sondern um 
die Gesetze der Himmelserscheinungen zu lernen, und denen so die 
Ordnung und Harmonie der Natur, die Einheit des gesamten Lebens 
aufging, diese Begründer der Naturwissenschaft hatten kein Vater¬ 
land, und schwerlich hätten sie sonst die Welt als Ganzes anzuschauen 
vermocht. Die Weisheitslehrer, die die geistige Umwälzung be¬ 
wirkten, aus der die Wissenschaft vom Menschen hervorgegangen ist, 
sprachen das kühne Wort, daß der Mensch das Maß aller Dinge 
ist, da für jedes Individuum die ganze Außenwelt nur durch feine 
subjektive Wahrnehmung und Empfindung Realität besitzt; sie brachen 
die Ketten jedes Herkommens, jeder Konvention und forderten für 
Religion, Recht und Sitte eine neue der Vernunft genügende Be¬
	        
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