Full text: Landschaftliche Charakterbilder der hervorragendsten Gegenden der Erde

96 Aus Deutschland. 
Burg Jggersheim aufragen. Hinter Vilshosen, wo das Flüßchen Vils in 
den Strom tritt, breiten sich wieder die Ufer weiter aus, und namentlich auf 
der rechten Seite liegen hier herrliche Fruchtgefilde. So nähern wir uns dem 
prächtigen Passau, in einem Kessel erbaut, in welchem sich die Thäler der Jlz, 
des Inn und der Donau kreuzen, größerenteils aber auf der langgestreckten 
Halbinsel der unter spitzem Winkel zusammenfließenden Ströme Donau und 
Inn. Hier, wo noch einmal dem Auge ein herrliches Panorama gewährt wird, 
scheidet die Donau von dem Deutschen Reiche, um ihr Wasserwogen zunächst durch 
die befreundete österreichisch-nngarische Monarchie weiter gegen Osten zu führen. 
12. Der Weserstrom. 
Der eigentliche Quellfluß der Weser ist die Werra, welche zwischen dem 
Wurzel- und Bleßberge, an der Grenzscheide des Franken- und Thüringer- 
Wäldes, aus mehreren Quellbächen zusammenfließt und bis oberhalb Hildburg- 
hausen eine südwestliche Richtung verfolgt, um hieraus westwärts bis Mei- 
ningen und alsdann nordwestlich zu gehen. Reiche Wasseradern strömen von 
rechts her dem Flusse zu, weniger von links her. 
Das obere Werrathal ist ein gesegneter Wiesen- linb Ackergrund, der 
zwischen Rhön und Thüringerwald eingesenkt liegt; besonders reizend breitet 
sich in diesem Gruude die Residenzstadt Meiningen aus. 
Vorsprüuge des hessischen Berglandes halten sodann die Werra aus, schon 
jetzt direkt ihren Weg zur Fulda fortzusetzen. Sie muß erst nordwärts, dann 
sogar nordöstlich fließen und sich hierbei durch Gebirgsmassm hindurcharbeiten. 
Die Weitung von Berka bezeichnet die Stelle eines früheren Landsees; vor 
Hörsel tritt sie durch die thüringische Pforte in das hessische Bergland 
hinans, um hier ihren bedeutendsten Nebenfluß, die Hörsel, zu empfangen. 
Nach der Mündung der Hörsel tritt die Werra in die enge Thalschlucht ein, 
die auf der einen Seite durch den Ringgau, auf der andern durch das Eichs- 
feld und den Hainich begrenzt wird. Es ist eine Gegend, in die nur selten 
der flüchtige Fuß eines Touristen dringt, die aber einen solchen Besuch in hohen: 
Maße lohnt. Grane Kalkfelsen stehen häufig in beängstigender Schroffheit am 
Ufer; reiche Sagendichtungen nmweben die interessantesten Orte, und Denk- 
mäler aus der Vorzeit ragen romantisch in die Gegenwart hinein. Ungemein 
au^'^nd ist Treffurt, über welchem die ausgedehnten Ruinen des Norman- 
st eins aufragen, und unter den jähen Felsen der Userlandschaft verdient der 
Heldrastein besonderer Erwähnung. Bei einer Meereshöhe von 444 in fällt 
dieser Fels aus der Werrafeite etwa 67 in jäh ab, während bewaldete Böschungen 
weiter abwärts führen. Von der Höhe dieses Felsens genießt der Wanderer 
einer entzückenden Aussicht. Unmittelbar unter dem Standorte liegt in der Tiefe 
das Dörfchen Heldra, weiter rechts Treffurt mit seiner Ruine, noch weiter 
Wanfried und über diesem auf dem kegelförmigen Hülfensbergs die be¬ 
rühmte Wallfahrtskirche des strengkatholischen Eichsfeldes. Von weiterher grüßt 
der Possenturm bei Sondershausen und über das Eichsfeld hin schweift das 
Auge zum gewaltigeren Harzgebirge. Im Vordergrunde weidet sich der Blick 
Qu den saftigen Wiesen und Feldern des Thales, welches von dem Flnsse in 
vielfacher Windung bewäffert und von freundlichen Dörfern belebt ist.
	        
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