110 Aus Deutschland.
Ganz anders ist die nordwestliche Hälfte, der eigentliche Thüringer-
td a 1 b, gestaltet. Er bildet eine schöne, langgestreckte, durch einen hohen Kamm
stetig geschlossene Bergkette, deren Gestein vorherrschend aus Porphyr besteht.
Ihre Umrisse sind scharf gezeichnet, aber doch weich: kurze Terrassen umlagern
sie; mit Seitenästen versehene Thäler nnd Schluchten schneiden in sie ein, und
die letzteren sind von scharskantigen Felsen umsäumt sowie mit rundlichen, fern-
sichtreichen Bergspitzen gekrönt. Hier finden sich die Berge mit Laubwald be-
kleidet, die Thäler sind kurz, wild und mit interessanten Felsbildungen und
romantischen Waldbächen versehen. — Die Längenausdehnung des Thüringer-
Wäldes beträgt kaum 75 km, die Breite an vielen Stellen wenig über
15 km. Aus dem durchschnittlich 800 m hohen Kamme der einfachen
Hauptkette steigen die höchsten Gipfel nur noch um 100—200 m empor, so
am südöstlichen Ende der große Beerberg (1009 m) und der ihm benachbarte
Schneekops (wenig über 1000 m), ferner in der Nähe des Nordwestendes
der bekannteste und besuchteste Gipsel des Gebirges, der Juselsberg (940 m).
Ein alter fahrbarer Weg, der Rennsteig, führt über den Kamm von dem
Dorfe Hörschel an der Werra bis zum Dorfe Blankenstein an der Saale
und erleidet nur in der Nähe des Jnselsberges eine Unterbrechung. Ziemlich
hoch an den Kamm hinaufgerückt liegen kleine freundliche Ortschaften und An-
siedelnngen zu gastlicher Aufnahme, auch führen quer über das Gebirge be-
queme Wege, welche au Hauptstellen zu musterhaften Straßen ausgebaut sind
und den Wanderer durch wechselvolle Naturbilder erfreuen. Ist sonach das
Gebirge eins der wegsamsten Deutschlands geworden, so kommt hierzu noch der
erfreuliche Umstand, daß von allen Seiten her der Zugang zu demselben un-
gemein leicht wird, indem ein treffliches Eisenbahnnetz das Gebirge umspannt
und mehrere Linien dicht zu ihm heranführen; ja neuerdings durchbohrt in der
Nähe des Jufelsberges sogar ein Eisenbahntunnel den Kamm des Gebirges!
Überall grüßt uns in diesem Gebirge Anmut und trauliches Leben. Hier feffelt
unfern Blick die reiche Mannigfaltigkeit der bewaldeten Hügel und Berge,
welche an dem Kamme allenthalben emporsteigen, dort darf er eins der tief
uud steil eingesenkten Querthäler verfolgen, welche bisweilen bis an den Haupt-
kämm mit scharfen Felsenrändern Vordringen. An den Höhen wie in den
Thälern wechseln blumenreiche Matten mit herrlichen Waldungen ab, und durch
die letzteren, welche namentlich im nordwestlichen Teile häufig im prachtvollsten
Buchenschmucke prangen, winden sich nach allen Seiten hin bequeme Promenaden-
wege, welche die Beschwerden einer Fußwanderung nicht im mindesten fühlbar
werden lassen. Zwar vermissen wir einen größeren Fluß in den Thalgründen
des eigentlichen Gebirges, desto größer ist jedoch der Reichtum derselben an
schäumenden Bächen uud an frischen, wohlschmeckenden Quellen.
Aus all dem Gesagten ergibt sich, wie recht ein schweizerischer Schriftsteller
hat, der zum Lobe dieses kleinen Gebirges sagt: Der Thüringerwald ist der
Park Deutschlands. Er ist weniger staunenerregend als anziehend; er gefällt,
blendet und entzückt durch wechselnde Bilder einer lachenden Anmut und hei-
teren Frische; er gleicht einer großen grünen Laube*).
*) E. Humbert, Dans la foret de Tliuringe, Genf 1862