66 Aus Deutschland.
„O denk' an jenen Berg, der hoch und schlank
Sich aufschwingt, aller schwäb'schen Berge schönster,
Und auf dem königlichen Gipfel kühn
Der Hohenstaufen alte Stammburg trägt!
Und weit umher in milder Sonne Glanz
Ein grünend fruchtbar Land, gewnndne Thäler,
Von Strömen schimmernd, herdenreiche Triften,
Jagdlustig' Waldgebirg, und aus der Tiefe
Des nahen Klosters abendlich' Geläut."
Während der Stammsitz des herrlichen Hohenstansengeschlechts in
pietätloser Zeit nicht nur verfallen, sondern auch abgerissen worden ist, um den
Herzögen von Württemberg als Baumaterial für ihr Schloß in Göppingen
zu dienen, hat eine andre fürstliche Ahnenburg in Schwaben eine prachtvolle
Erneuerung erfahren, die Stammburg unsres jetzigen erlauchten Kaisergeschlechts,
Hohenzollern. Südwestlich von dem Hohenstaufen erhebt sich auf einem frei-
stehenden, kegelförmigen Kalkfelsen, 233 m über der Stadt Hechingen und
776 m. über dem Meer, das herrliche Schloß. Wohl schon in der Zeit
Kaiser Heinrichs IV. stand auf diesem Berge eine Burg der Zollern, denn
damals traten die Brüder Burchard und Wezil von Zollern in Schwaben auf.
Nachdem fich 1227 der Zweig der Burggrafen von Nürnberg von den schwä-
bischen Grafen von Hohenzollern getrennt hatte, kam 1422—23 über die
Stammburg eine sehr schwere Zeit. Friedrich von Zollern, der Öttinger genannt,
wurde mit der Reichsacht belegt und auf dem Hohenzollern von großer Über-
macht ein Jahr lang belagert. Nachdem er fich hatte ergeben müssen, schmachtete
er längere Zeit im Kerker; seine Burg aber wurde völlig zerstört. Nach
seinem Tode baute sein Sohn Jobst Niklas die Burg wieder auf, wobei
ihn seine fränkischen und brandenburgischen Verwandten kräftig unterstützten.
Markgraf Albrecht Achilles soll selbst einen schweren Stein auf die Bergspitze
getragen und den Grund zu dem „Markgrafenturm" gelegt haben. Weil die
Grafen bald in ihr Stadtschloß hinabzogen, so geriet die Bergfeste in Verfall
und verlor ihre Bedeutung; König Friedrich Wilhelm IV. ist der Erbauer des
herrlichen neuen Königschlosses, das aber erst König Wilhelm (am 3. Oktober 1867)
eingeweiht hat. Das Schloß stellt in strenger Durchführung eine feudale Burg
des 14. Jahrhunderts dar. Den unteren Teil nehmen Vorwerke mit 16 —18 in
hohen Befestigungsmauern ein. Das Thor trägt den preußischen Adler mit
dem Zollernschen Wappen und der Inschrift „vom Fels zum Meer", darunter das
Reiterbild des ersten Grafen von Zollern.
Haben wir das „Adlerthor" durchschritten, so gelangen wir auf den unteren
Burghof, welcher die Gebäude für die Besatzung enthält und von der äußeren
Befestigung umschlossen ist; dieselbe bildet ein mit Bastionen und Ecktürmchen
versehenes Siebeneck. Aus dem unteren Hofe führt ein Turm in schneckenartigen
Windungen zu dem 29 in höheren oberen Burghöfe, in dessen Mitte sich
das eigentliche Schloß mit 3 Flügeln und 5 Geschossen erhebt. Die beiden
unteren Geschosse sind gewölbt. Der ganze Bau wird von 5 Türmen überragt, von
denen zwei 58 m hoch sind. In dem Burggarten steht eine Erzstatne Friedrich
Wilhelms IV.; das Schloß selbst enthält eine Reihe prächtiger Räume sowie eine
katholische und eine evangelische Kirche. Von dem Wartturme aus genießt
man einer unermeßlichen Aussicht, da das Land nach Westen, Norden und Nord-
osten weithin offen daliegt.